Zukunft der Linkspartei: Das Charisma-Problem
Brauchen wir die Linkspartei? Und wenn ja, wie viele? Eine Wagenknecht-Partei wäre für die Bundesrepublik jedenfalls etwas revolutionär Neues.
D ie Spaltung der Linkspartei ist noch nicht vollzogen, aber absehbar. Entweder wird sich der Wagenknecht-Flügel aus der Partei unter Absingen schmutziger Lieder ins Private verabschieden – oder er wird ein neues Projekt starten.
Dieser Zerfall vollzieht sich qualvoll lange. Die Unfähigkeit, die Trennung zu realisieren, ist das Ergebnis einer für die Linkspartei typischen Scheu, Konflikte offen auszutragen und eines von Dietmar Bartsch verkörperten Organisationspatriotismus: Hauptsache, der Apparat bleibt intakt. Dieser Kitt ist mürbe geworden.
Zwei Fragen: Was wäre das Neue an der Wagenknecht-Partei? Und was bleibt übrig, wenn Wagenknecht, Klaus Ernst und Sevim Dağdelen gehen?
Die Linkspartei von Janine Wissler und Martin Schirdewan wird dann stark auf junge, urbane, aktive Milieus setzen. Die Nominierung der Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete für die Europawahl ist eine Art Wegweiser. Auf den ersten Blick ist das ein Rückgriff auf die Geschichte der PDS, die in den 90er Jahren Unabhängige wie Stefan Heym in den Bundestag schickte. Allerdings war dies eine Rehabilitierung von SED-Dissidenten, die eng mit kommunistischer Parteigeschichte verbunden waren.
Viele ungelöste Probleme
Die Kür von Rackete ist eher der Versuch, der kriselnden Partei mit einer Frischzellenkur aus parteifernen sozialen Bewegungen wieder auf die Beine zu helfen. Wenn Parteien ihre Hoffnungen auf soziale Bewegungen setzen, ist das oft ein Missverständnis. Bewegungen, so Ulrich Beck, kommen und gehen – vor allem gehen sie. Die Klima- und die Refugee-welcome-Bewegung sind derzeit in der Krise. Die Hoffnung, ausgerechnet aus diesen Bewegungen einen vitalen Schub zu bekommen, ähnelt dem Griff nach dem Strohhalm.
Und selbst wenn die Linkspartei aktivistische Milieus in ausreichendem Maß an sich binden kann, bleibt ein ungelöstes Problem. Denn Wagenknecht ist nicht der Grund für den Riss in der Partei – sondern nur dessen dröhnend lauter Verstärkerin. Die Streitfrage lautet: Vertritt die Linke den Rentner in der Provinz mit Ölheizung und Diesel – oder woke Akademiker? Dieser Konflikt hat, lädt man ihn zur Identitätsfrage auf, etwas Toxisches.
Die Linke (nicht nur die Partei) hat zudem ein intimes Verhältnis zu Wahrheit und Moral. Beides ist, anders als bei Liberalen oder Konservativen, ein hart umkämpftes Gut. Weil es bei Moral schnell um fast alles geht, sind Linke oft unfähig, die zerstörerische Eskalationsdynamik solcher Kämpfe abzukühlen und zu entgiften.
Kurzum: Ob die Linkspartei ohne Wagenknecht über das Personal und das Handwerkszeug verfügt, Rackete & Co zu gewinnen, ohne traditionell eingestellte ältere GenossInnen zu verlieren, ist zweifelhaft. Die Linkspartei kann auf von der Ampel enttäuschte WählerInnen hoffen, denen die Klima- und Sozialpolitik zu unentschlossen ist. Aber auch das wird nur gelingen, wenn sie rational und geschlossen auftritt. Das ist offen.
Und die Wagenknecht-Partei? Es gibt berechtigte Zweifel, ob dieses Kind je laufen können wird. Es fehlen die politischen Profis, die jede Partei braucht. Die Gefahr, Magnet für Profilneurotiker jeder Couleur zu werden, ist groß. Zwar könnte eine autoritäre Top-down-Organisation diesen Zustrom verhindern. Aber Ansagen von oben würden die basisdemokratischen Beteiligungsbedürfnisse jener „Misstrauensgemeinschaft“ (Sven Reichardt) von Querdenkern, Altlinken und Coronaskeptikern frustrieren, die die Partei für sich gewinnen müsste.
Eine Partei für Unzufriedene
Die Wagenknecht-Partei würde auf Unzufriedene spekulieren, die keine Rassisten sind. Sie wäre eine populistische Partei, deren Kern die Bewirtschaftung der Wut gegen Regierung und (grüne) Eliten wäre. Eine Partei, die kulturell rechts, sozialpolitisch links auftritt, könnte – jedenfalls auf dem Reißbrett – eine Repräsentationslücke füllen. Abwegig ist das nicht. Es gab auch in der SPD mit Blick auf die dänische Sozialdemokratie Überlegungen, einen solchen Kurs einzuschlagen – allerdings ohne populistische Affekte.
Für die Bundesrepublik wäre die Wagenknecht-Partei etwas revolutionär Neues: nämlich eine Organisation, die vollkommen auf eine charismatische Figur an der Spitze fokussiert ist. Man kennt solche schillernden, abgründigen, hypertrophen Figuren aus dem internationalen Rechtspopulismus. Silvio Berlusconi, Donald Trump, Jörg Haider und Sebastian Kurz verkörperten diese charismatische Herrschaft, die sich um Verfahren, Justiz und Parteiapparate nicht scherte und völlig auf sie zugeschnitten war.
Zur politischen Kultur der Bundesrepublik gehört indes ein tiefes Misstrauen gegenüber Charisma. Man vertraut lieber Pragmatikern, die emotionsarm Sachfragen darlegen. Das verbindet das großväterliche Besänftigende von Adenauer mit dem kühl Technokratischen von Helmut Schmidt, das Provinzielle von Helmut Kohl mit der Leidenschaftsferne von Angela Merkel. Der einzige Kanzler mit einem gewissen, demokratisch gründlich entschärften Charisma war Willy Brandt.
Diese Charisma-Skepsis ist das Pendant zu der ebenfalls typisch bundesdeutschen Fixierung auf die Mitte, die Schutz vor Unheil verspricht. Es bedarf keines besonderen Scharfsinns, in beidem einen Reflex auf 1933 und Hitler zu erkennen. Beides ist ein bis in die politische Verästelung eingesickerter Lernprozess.
Es ist auch kein Zufall, dass an der Spitze der AfD ein sächsischer Malermeister und eine lesbische Neoliberale stehen, mithin charismaarme Figuren. Auch die AfD traut sich bis jetzt nicht, ihren einzigen Charismatiker, Björn Höcke, an die Spitze zu stellen.
Eine erfolgreiche Wagenknecht-Partei würde wohl der AfD Konkurrenz machen. Vor allem aber wäre sie eine Erschütterung des hiesigen Parteiensystems, das noch immer um die beiden Volksparteien SPD und Union zentriert ist. Es wäre das Zeichen, dass die typisch bundesdeutsche mittige Stabilität verschwindet und von einer europäischen Normalisierung verdrängt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag