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Zuflichtsort und Propagagandaschwindel

■ Die Sänderin Mascha Benya und der Schauspieler Bert Bernd erinnern sich an den Jüdischen Kulturbund

hendes Kulturleben die Juden in Deutschland hatten. Wir waren kleine Figuren auf dem Schachbrett der Nazis, die herumbewegt wurden, um Illusionen zu kreieren. Das ganze war eine Lüge vom ersten bis zum letzten Tag. Ich bin sicher, daß alle Angehörigen des Kulturbundes sich dessen früher oder später bewußt wurden. Es gab allerdings etwas, das echt war, das die Mühen lohnte: Wir konnten in unserem Beruf arbeiten, wir hatten ein Publikum, wir wurden geschätzt und gebraucht. Das wog zum Teil die Lüge auf, aber es hat uns den bitteren Geschmack des Unternehmens nicht versüßt.

Mascha: Mir war das so nicht bewußt. Bevor ich in das Ensemble aufgenommen wurde, habe ich nur eine Aufführung im Kulturbund gesehen. Einige Leute haben auf den Kulturbund runtergeschaut, als wäre das ein Provinztheater — kein Vergleich mit der Staatsoper, der Städtischen Oper und anderen großen Häusern. Tatsache aber war, daß die Programme ein hohes Niveau hatten und daß es im Kulturbund viele Sänger und Musiker gab, die vorher in den großen Häusern gearbeitet hatten.

Bernd: Ich denke, die Leiter des Kulturbundes, Kurt Singer und Werner Levie, haben sich etwas vorgemacht. Singer war der beste Beweis für diese Art der Selbsttäuschung. Er war in den USA und kam zurück! Er hatte keinen Sinn für die Realitäten. Aber in einem Punkt hat Mascha Recht: Die Qualität der Aufführungen war wirklich gut. Es waren prominente und renommierte Leute darunter, mit Karrieren, die abrupt beendet wurden. Sie trafen sich alle im Kulturbund. Und deswegen war ich so stolz, daß ich mit diesen Namen zusammen auftreten konnte.

Mascha: Ich kam nach Berlin kurz vor der Machtergreifung. Meinen Lebensunterhalt verdiente ich mir mit Hebräischstunden für Juden, die nach Palästina auswandern wollten. Dennoch meinten viele, es werde nicht lange dauern, bis die Deutschen wieder zu sich kommen würden. Viele Menschen, die hätten auswandern können, blieben.

Bernd: Ich glaube nicht, daß die Menschen freiwillig blieben. Sie hatten keine Möglichkeit rauszukommen, keine Verbindungen, keine Verwandten im Ausland, kein Geld.

Mascha: Sie haben den Nazis vertraut. Vergiß nicht, wie deutsch Singer war, und wie sehr er die Ostjuden nicht mochte. War er deutsch! Er hat den Nazis sein Ehrenwort gegeben, daß er aus den USA zurückkommen würde.

Bernd: Ich verstehe nicht, wie man sich Illusionen über die Nazis machen konnte. Sie machten kein Hehl aus ihren Absichten.

Mascha: Es gab die Zionistische Organisation, die 'Jüdische Rundschau‘, das Familienblatt...

Bernd: Am Anfang unterstützten die Nazis alles, was in Richtung Emigration ging. Später sind sie dann zu der Überzeugung gekommen, daß es besser war, die Menschen umzubringen. Als im November 1938 ein junger polnischer Jude einen deutschen Diplomaten in Paris erschoß, da erhoben sich in allen deutschen Städten „ganz spontan“ die Menschen und versammelten sich ebenso „spontan“ vor den Synagogen und brannten so viele wie möglich nieder. Überall im Lande wurden Juden verhaftet, alle jüdischen Aktivitäten wurden verboten: Konzerte, Vorträge, Vorstellungen, nichts ging mehr. Ich hatte mich versteckt und schlich mich jeden Abend in eine Telefonzelle, um meine Eltern anzurufen und ihnen zu sagen, daß ich noch lebe und gesund bin. Und nach dem vierten oder fünften Anruf zu Hause sagte mir meine Schwester, da wäre ein Brief vom Kulturbund für mich, ich sollte zu einer Probe ins Theater kommen. Ich glaubte meiner Schwester kein Wort, sie bestand aber darauf, es wäre so. Also bin ich nach Hause gegangen, und da lag tatsächlich eine Benachrichtung vom Kulturbund, ich sollte am nächsten Tag zu einer Probe des laufenden Stückes erscheinen. Dem Brief lag ein Papier bei, das von Hinkel unterschrieben war, in dem drin stand, ich wäre ein Mitglied des Kulturbund-Ensembles. Es war ein Schutzbrief, wie im Mittelalter üblich, damit die Juden von einem Ort zum anderen reisen konnten und unterwegs nicht erschlagen wurden. Das war auch der Sinn dieses Papiers von Hinkel. Mit dem Hinkel-Schutzbrief in der Tasche radelte ich also am nächsten Tag zum Theater des Kulturbundes, und einige Tage später spielten wir wieder, eine leichte englische Komödie inmitten all des Elends nach der Kristallnacht. Hundertausende von Juden hatten noch nicht begriffen, was ihnen geschah, es gab Tote, Gefolterte, Verhaftete, und wir spielten Regen und Wind, als ob nichts passiert wäre. Die Nazis dachten, sie könnten der weltweiten Empörung über die Kristallnacht etwas entgegensetzen, es konnte ja nicht so schlimm gewesen sein, wenn die Juden noch so viel Spaß am Theaterspielen in solchen Zeiten hatten. Der Haken bei der Sache war nur: Es saßen kaum Leute im Saal. Nur Verrückte würden unter solchen Umständen noch ins Theater gehen. Dies war eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens. Wir wurden gezwungen, eine Komödie zu spielen, während jeder von uns Angehörige, Freunde oder Nachbarn hatte, die verschwunden waren, in einem Lager festgehalten wurden oder sich aus ihren Verstecken nicht heraustrauten. Meine Rolle bei Regen und Wind war mein letzter Beitrag zu den kulturellen Aktivitäten des Kulturbundes. Bald darauf, im Dezember 1938, wanderte ich nach USA aus. Meine Eltern und eine meiner Schwestern blieben in Deutschland. Sie haben es nicht geschafft, sie starben in Konzentrationslagern. Meine Mutter wurde in Auschwitz ermordet.

Mascha: Ich habe Deutschland gleich nach der Kristallnacht verlassen. Ich habe noch gesehen, wie die Nazis am Kurfürstendamm Schaufenster jüdischer Geschäfte zerschlugen, und die Passanten standen drumherum und schauten zu. Keiner faßte etwas an, niemand nahm etwas mit. Ich hörte, wie eine Frau sagte: Es ist eine Schande, Volksvermögen zu zerstören.

Bernd: Man hat ihnen wahrscheinlich gesagt, das spontane Plündern fängt morgen an... Natürlich gab es viele anständige Leute, und Berlin war nie eine Hochburg der Nazis. Deswegen haben viele bei solchen Aktionen nicht mitgemacht. Aber es gab genug, die mitgemacht haben.

Mascha: Ich hatte ein Visum nach Amerika schon vor Rigoletto, aber ich wollte noch ein paar Rezensionen in meinem Gepäck haben, um in Amerika einen Eindruck zu machen... Meine letzte Vorstellung war im Oktober 1938. Zu dieser Zeit traf ich einen alten Freund in der U- Bahn, einen Deutschen. Er war ein Sozialdemokrat und weigerte sich, in die NSDAP zu gehen. Mascha, sagte er, du bist noch hier? Er konnte es nicht fassen. Und dann sagte er: Ich wünschte, ich könnte gehen.

Bernd: Ich habe versucht, meine Karriere in den USA fortzusetzen, ich war in einigen Broadway-Produktionen als Statist und auch in einigen Off-Broadway-Aufführungen. Aber ich konnte davon nicht leben. Bevor ich Deutschland verließ, habe ich Fotografie gelernt, weil ich wußte, daß ich es in den USA als Schauspieler schwer haben würde. Die Karriere als Schauspieler war vorbei, endgültig.

Mascha: Als ich in die USA kam, habe ich bei zahllosen Agenten vorgesprochen. Ich wollte meine Karriere als Opernsängerin fortsetzen. Aber es ging nicht. So habe ich Radioprogramme mit jiddischen und hebräischen Liedern gemacht und Platten aufgenommen. Und das mache ich bis heute.

Bernd: Wenn ich heute über den Kulturbund nachdenke: Es war eine kranke Idee, ein teuflischer Plan. Die Nazis haben wirklich angenommen, er würde funktionieren. Niemand kann sagen, wie viele darauf hereingefallen sind und geglaubt haben, was ihnen da vorgespielt wurde. Ich bin sicher, daß die ausländischen Diplomaten klüger waren, als die Nazis angenommen hatten...

Mascha: Ich sehe es vom Standpunkt des Besuchers. Ich war einmal am selben Tag wie Göring in der Oper, ich hörte Gigli auf der Bühne und sah Goebbels in der ersten Reihe sitzen. Ich muß verrückt gewesen sein. Ich war in der Städtischen Oper an dem Tag, als das Saargebiet eingenommen wurde. Es gab La Bohème in einer sehr hysterischen Inszenierung. Der Intendant kam auf die Bühne und hielt eine patriotische Rede, alle standen auf und hoben die Hand zum Hitlergruß. Ich stand auch auf, aber ich hob nicht den Arm. Ich schaute mich um, und ich sah einen Jungen, der mich mit Angst in den Augen anschaute. Da waren wirklich ein paar Juden im Publikum, die La Bohème sehen wollten! Man konnte noch ins Theater, in die Oper gehen, man wurde an der Tür nicht gefragt, ob man Arier war. Aber die meisten hatten Angst, es war nicht angenehm. Und da war der Kulturbund ein Zufluchtsort, ein Stück Himmel auf Erden, wo man hingehen und sich eine Oper ansehen konnte, ohne dieses schreckliche Gefühl im Nacken.

Bernd: Keine Frage, für zwei, drei Stunden konnten die Leute ihre Sorgen vergessen. Das war auch die Funktion des Kulturbundes. Man sollte aber die Frage einmal anders stellen: Was wäre gewesen, wenn es eine solche Institution nicht gegeben hätte? Es wäre schlimmer gewesen, weil wir alle viel gefährdeter gewesen wären. Für die Künstler bot der Kulturbund einen gewissen Schutz. Und das waren immerhin ein paar tausend Menschen. Schon deswegen war es besser als gar nichts.

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