Horst Bossong über Spritzentausch im Knast: Zu wenig und zu spät
■ Heftige Kritik am Plan des Justizsenators
taz: Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (parteilos) will zum April Spritzenautomaten als Pilotprojekt in der offenen Strafanstalt Vierlande einführen. Warum halten Sie das für einen schlechten Scherz?
Horst Bossong: Weil die Beschaffung von Einwegspritzen für Gefangene des offenen Vollzugs ein vergleichsweise kleines Problem ist, und folglich die Nachfrage eher gering sein wird. Was also soll dort überhaupt erprobt werden? Die Drogensüchtigen, die am dringendsten Hilfe brauchen, nämlich die in den geschlossenen Anstalten, bleiben weiter unversorgt und werden erneut enttäuscht.
Was muß Ihrer Ansicht nach getan werden?
Den Junkies im geschlossenen Vollzug wurde schon vor drei Jahren vom damaligen Justizsenator Hardraht die Einführung des Spritzentausches versprochen. Vor einem Jahr sprach sich auch die vom Justizsenator eingesetzte Drogenkommission für Spritzentausch in der am meisten belasteten Anstalt, Santa Fu, aus. Jetzt ist wieder ein untätiges Jahr vergangen. Warum Hamburg nicht den gleichen Weg geht wie Niedersachsen und Berlin, wo Spritzentausch in geschlossenen Anstalten erprobt wird, ist unerfindlich.
Ist die Justizbehörde zu feige, um Spritzenautomaten gegen den Widerstand des Wachpersonals im geschlossenen Vollzug einzuführen?
Sie nimmt zu sehr Rücksicht auf auf die zwar verständlichen, aber im Kern unbegründeten Sicherheitsbedenken des Personals.
Der Justizsenator hat die Entscheidung also nicht mit Ihnen abgesprochen?
Weder mit mir, noch – meines Wissens – den übrigen Mitgliedern der Drogenkommission.
Gefährdet die Justizbehörde mit der Verzögerung des Spritzentauschs in geschlossenen Anstalten Menschenleben?
Es ist unbestreitbar, daß das Risiko lebensgefährlicher Infektionen durch unsaubere Spritzen steigt. Die Gesundheitsfürsorgepflicht gegenüber den abhängigen Strafgefangenen gebietet es, so rasch wie möglich allen drogenabhängigen Gefangenen umgehend Zugang zu sauberen Spritzen zu ermöglichen.
Fragen: Silke Mertins
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