: Zu vieles im Dunkeln
Wo Merkel von „Regeln“ und „Werten“ spricht, beschwört Rice den „Kampf gegen Massenmörder“
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Ja, da trafen schon zwei Welten aufeinander im Berliner Kanzleramt. Das konnte man an diesem Dienstagvormittag deswegen ganz gut erkennen, weil da, immer noch ungewöhnlich genug, zwei Frauen im Zentrum der Macht nebeneinander standen. Hier die alte, europäische Welt in roter Jacke und schwarzer Hose, etwas verhuscht in der öffentlichen Präsentation ihrer selbst, aber klar und präzise bei der Verteidigung ihrer Werte: der uneingeschränkten Herrschaft des Rechts. Dort die neue, amerikanische Welt im dunkelblauen Kostüm, charmant, agil, drahtig, mit ungebrochener Leidenschaft bei der Propagierung ihrer historischen Mission: des Kampfes gegen den internationalen Terror.
Angela Merkel, die deutsche Kanzlerin, und Condoleezza Rice, die amerikanische Außenministerin, lieferten an diesem Tag einen eindrucksvollen Beweis dafür, dass sie bei ihrem Gespräch hinter verschlossenen Türen vielleicht das Gleiche gesagt, aber mit Sicherheit jeweils anderes gemeint haben. Bei ihrem anschließenden Auftritt vor der Presse konnte man diese Differenz sehr genau heraushören. Merkel sprach kurz über die „neuen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts“, die die Arbeit von Geheimdiensten notwendig machen – um anschließend umso engagierter über „demokratische Werte“, „Recht und Gesetz“ sowie „internationale Regeln“ zu dozieren, die beim Vorgehen gegen Terroristen einzuhalten seien. Dieser Exkurs geriet so ausführlich, dass man zwischendurch schon dachte, Dr. rer. nat. Angela Merkel bereite sich jetzt auch noch auf ihre Promotion im Völkerrecht vor.
Rice hingegen teilte pflichtgemäß mit, dass die amerikanische Regierung bei allem, was sie tue, sich selbstverständlich an Recht und Gesetz halte – um danach umso emphatischer über den Kampf gegen den internationalen Terror zu sprechen, der „ungewöhnliche Methoden“ verlange. Dieser Kampf werde schließlich gegen „Massenmörder“ geführt, die unschuldige Zivilisten töteten, Schulkinder in Beslan genauso wie einfache Menschen auf der Straße in Madrid, London oder Amman. Die Arbeit der Geheimdienste sei dafür „absolut notwendig“, ja geradezu der „Schlüssel zum Erfolg“.
Das waren nicht gerade ideale Ausgangsbedingungen, um das heikelste Thema der Europa-Reise von Rice gewinnbringend zu diskutieren: geheime CIA-Flüge, die Abwicklung von Gefangenentransporten auf europäischen Flughäfen, Folter von Terrorverdächtigen. Im Großen und Ganzen scheint Merkel dem Thema ausgewichen zu sein. Vor der Presse wies sie nur allgemein darauf hin, dass der Kampf gegen den Terrorismus die „Balance“ wahren müsse „zwischen geheimem Vorgehen und der Einhaltung demokratischer Prinzipien“. Das sollte der Kanzlerin den Spielraum ermöglichen, um mit der Außenministerin einen konkreten Fall zu erörtern: die „versehentliche“ Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled al-Masri durch die CIA. Al-Masri war Ende 2003 gekidnappt und vom amerikanischen Geheimdienst fünf Monate lang in Afghanistan festgehalten, verhört und offenbar gefoltert worden.
Dafür, dass man gemeinsam Besprochenes unterschiedlich interpretieren kann, lieferte dieser Fall dann ein eindrückliches Beispiel. Merkel teilte der Presse mit, dass Rice ihr gegenüber eingeräumt habe, die Entführung sei „ein Fehler“ gewesen. Um dann anzufügen: „Für mich ist es wichtig, dass die Außenministerin mir gegenüber wiederholt hat: Die USA halten sich an ihre Gesetze, internationale Verpflichtungen und das Folterverbot.“ So allgemein war vor der Presse auch Rice selbst geblieben. Sie weigerte sich, konkret auf die Al-Masri-Entführung einzugehen. „Aber wenn Fehler passiert sind“, sagte sie, „werden wir alles dafür tun, sie zu korrigieren.“ Dass Fehler passiert sind, räumte sie entgegen Merkels Aussage öffentlich eben nicht ein. Und hinterher widersprachen hinter den Kulissen dann auch noch hohe US-Regierungsvertreter der Darstellung der Bundeskanzlerin. „Wir sind uns nicht darüber im Klaren, was sich da in ihrem Kopf abgespielt hat“, so lassen sich hohe US-Beamte von der Nachrichtenagentur Reuters mit Blick auf Merkels Aussage zitieren.
Für Merkel ist der Al-Masri-Fall besonders heikel. Die alte Bundesregierung steht im Verdacht, von der Entführung und Folterung gewusst, aber nichts dagegen unternommen zu haben. Im Zentrum des heraufziehenden Skandals steht dabei nicht nur Exinnenminister Otto Schily, sondern auch und vor allem Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Die Kanzlerin will für Aufklärung sorgen – aber nur hinter verschlossenen Türen. Sie nannte es „wünschenswert“, dass Steinmeier dem geheim tagenden parlamentarischen Kontrollgremium im Namen der rot-grünen Bundesregierung Bericht erstatte. Steinmeier war als Kanzleramtschef auch Geheimdienstkoordinator.
Der Opposition im Bundestag ist das zu wenig. FDP, Grüne und Linkspartei wollen nicht hinnehmen, dass ein „Schleier der Geheimhaltung“ (FDP-Chef Westerwelle) über den Fall Masri gelegt wird. Ein Auftritt Steinmeiers vor dem parlamentarischen Kontrollgremium reicht ihnen nicht. Sie verlangen die Aussage aller zuständigen Minister in den Bundestagsausschüssen für Innen-, Rechts- und Außenpolitik in der kommenden Woche. Wenn dort nicht umfassend informiert wird, droht Merkel ein Untersuchungsausschuss – ausgerechnet wegen des Schweigens ihrer rot-grünen Vorgänger. Immerhin würde sie damit in Europa nicht allein stehen. Das Europarlament wird nämlich voraussichtlich einen Untersuchungsausschuss zu den europäischen Aktivitäten der CIA einsetzen.