piwik no script img

Zu viel Multimedia im NetzAngst vorm Internet-Kollaps

Einer US-Studie zufolge reicht die Bandbreite im Netz in wenigen Jahren nicht mehr aus. Grund sei die enorme Zunahme von Multimedia- Inhalten. Aber nicht alle Experten sehen das so.

Videos schauen, telefonieren, Musik laden - zu viel für das weltweite Netz? Bild: dpa

Das Papier klingt alarmierend: Bis 2010, schreibt die US- Marktanalysefirma Nemertes Research Group in einer in dieser Woche vorgelegten Studie, könne es zu Teilabschaltungen ganzer Regionen im Internet kommen, weil die zur Verfügung stehende Bandbreite für all die Multimedia-Inhalte nicht mehr ausreiche. Die Nachfrage nach schnellen Endkunden-Leitungen mit mehreren Megabit sei so groß, dass die großen Datenaustauschknoten im Netz, die Backbones, in wenigen Jahren mit der Last nicht mehr zurecht kämen. Schuld sei die zunehmende Nutzung bandbreitenintensiver Dienste wie Video, Internet- Telefonie oder Musik.

Auch die Schlussfolgerungen der Untersuchung, die von der so genannten "Internet Innovation Alliance" (IIA) in Auftrag gegeben wurde, klingend extrem. Die Probleme seien nur zu verhindern, wenn in den nächsten Jahren weltweit 137 Milliarden Dollar in neue Backbone- Kapazitäten investiert würden - mehr als doppelt so viel wie die aktuellen Ausbauplanungen der großen Provider und Telekommunikationsfirmen. Allein in Nordamerika sei mit einem Mittelbedarf von 42 bis 55 Milliarden Dollar für Netzinfrastrukturen zu rechnen. Zu den Zahlen kommt Nemertes durch das Anlegen von Maßstäben aus der Halbleiterindustrie, bei der sich alle zwei Jahre die Anzahl der Transistoren in Chips alle zwei Jahre verdoppelt: "Wir haben das Mooresche Gesetz auf die Geschwindigkeit angewendet, mit der innovative Anwendungen im Netz auftauchen und Bandbreite benötigen."

Kritiker bemängeln allerdings, dass die Studie von einer Industrielobbygruppe bezahlt wird, die sich für ein so genanntes "Tiered Internet" einsetzt - so wurde die IIA vom US- Telekommunikationsgiganten AT&T gegründet. "Tiered Internet" bedeutet, dass Inhalte im Netz nicht mehr gleichwertig behandelt werden, sondern Website-Betreiber zusätzlich Geld bezahlen müssen, damit ihre Daten mit voller Geschwindigkeit durch die Netze der Provider zum Endkunden geleitet zu werden. AT&T und andere Telekommunikationsriesen wollen dies einführen, um neue Einnahmequellen zu erschließen; Internet-Unternehmen lehnen diese Verletzung der so genannten "Netzneutralität" als unnötig und schädlich ab, zumal schon jetzt die Serverbetreiber Geld für ihre Anbindung zahlen müssen.

Das Argument fehlender Bandbreite könnte das "Tiered Internet" jedoch befördern. Experten bezweifeln allerdings, dass es tatsächlich soweit kommt. Die sich selbst als unabhängig titulierende Nemertes Research Group schreibt selbst in ihrer Studie, dass die grundlegenden Glasfaser- und Routing-Infrastrukturen auch jetzt schon "problemlos skalieren" würden, um "nahezu jede erdenkliche Nachfrage" aufzunehmen. Allein die Infrastruktur der Zugangsprovider, die derzeit versuchen, von den großen Internet-Firmen Geld zu kassieren, benötigten ein großes Upgrade. Dass dafür bislang problemlos die Nutzer zahlen konnten und sich die Telekommunikationskonzerne in den letzten Jahren reihenweise mit Großprojekten wie Internet-Fernsehen verspekulierten, um den Monatsumsatz pro Nutzer zu steigern, erwähnt Nemertes allerdings nicht. Zudem gab es in den USA in den vergangenen Jahren beispiellose und enorm teure Übernahmewelle bei den Telekommunikationskonzernen, von denen inzwischen nur noch eine Handvoll großer Mitspieler existiert. Wäre dieses Geld direkt in die Infrastruktur geflossen, existierten die heutigen Probleme nicht, meinen Experten.

In Deutschland sieht die Lage unterdessen noch einmal anders aus. Hier zu Lande hat die markführende Deutsche Telekom in Großstädten eine Infrastruktur nach dem VDSL-Standard geschaffen, über die viele Haushalte mit bis zu 50 Megabit pro Sekunde versorgt werden könnten. Allein, aktuell darf aufgrund einer Entscheidung des Bundestages nur die Telekom diese Leitungen vermarkten, die aufgrund teurer Pakettarife nur schleppend angenommen werden. Doch es gibt Hoffnung: Angeblich plant der "Rosa Riese", VDSL in den nächsten Monaten doch für Mitbewerber zu öffnen - schon allein, um die schöne neue Infrastruktur endlich mit Nutzern zu füllen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!