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Der nebenstehende Text und das Foto auf unserem heutigen Magazin-Titel waren ursprünglich gar nicht für den Abdruck in der taz bestimmt, sondern für das Feuilleton der Zeit vom 31. Mai. Kurz vor Drucklegung jedoch entschied deren Chefredaktion, dass der Textbeitrag nicht erscheinen dürfe. Warum er nun auf unseren Seiten publiziert wird, verdient ein paar Worte der Erläuterung.
Gut zwei Wochen ist es her, da erschien erstmals das wieder aufgelegte Magazin der Zeit als Zeit-Magazin Leben. Im Editorial schrieb Redaktionsleiter Christoph Amend, schon als Jugendlicher habe er das Magazin aus der Zeit „stibitzt“, wodurch der Briefbote bei seinen Eltern in den Ruf geriet, dass er „wieder mal das Magazin geklaut habe“. Eine Woche später sollte auch das Feuilleton der Zeit eine Frischzellenkur erfahren. Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans wurde eingeladen, die komplette inhaltliche und optische Gestaltung der Kulturseiten zu übernehmen. Eine Idee, die taz-LeserInnen bekannt vorkommen wird. Es gehört zur Tradition unserer Zeitung, in unregelmäßigen Abständen Gästen das Blattmachen zu übertragen, ob es sich dabei nun um Verleger, Illustratoren oder „Feinde“ der taz handelt.
Tillmans bekam bei der Feuilleton-Planung die Carte blanche, wie er sagt, oder in den Worten des Editorials: „Auf Einladung der Zeit hat der Turnerpreisträger Themen entwickelt, Texte in Auftrag gegeben oder aus anderen Medien übernommen und sie mit eigenen Fotos zu einer Ausgabe arrangiert, die von allen Konventionen der Zeit abweicht.“
Eine Ankündigung, die eingehalten wurde: Zur allgemeinen Verblüffung erschien die Aufmacherseite des Zeit-Feuilletons mit zwei gescannten taz-Artikeln, die Tillmans gewissermaßen auch „stibitzt“ hatte, denn um eine Abdruckgenehmigung wurde bei der taz nicht nachgefragt. Unkonventionell, in der Tat. Aber was wäre Kunst ohne Anverwandlung?
Kurz vor Redaktionsschluss, so Tillmans, habe die Chefredaktion der Zeit jedoch Bedenken bekommen und den für die letzte Seite der Kulturbeilage geplanten Beitrag gekippt. Der Text von Baltazar Castor, habe ihn Giovanni di Lorenzo wissen lassen, dürfe nicht erscheinen, denn er sei pornografisch. Eine Aufforderung an (zumal heterosexuelle) Männer, die Penetration ihres Anus zuzulassen – ganz so unkonventionell mochte man sich dann doch nicht präsentieren. Der Text musste von Tillmans kurzerhand gegen einen anderen von ihm bestellten Beitrag ausgetauscht werden, der im Heft keinen Platz mehr gefunden hatte. Tillmans Foto „Butt II“ konnte erscheinen.
Dass aus der Carte blanche unversehens eine Rote Karte geworden war, mochte der Künstler nicht ohne Weiteres hinnehmen – und bot Text und Foto der taz an. Ein Vorschlag, den wir gern annehmen. Zum einen finden wir das Thema keineswegs indiskutabel, zum anderen lockt die Aussicht, nun unsererseits eine Zeit-Seite zu … nun ja … „stibitzen“.
„Ich habe Herrn Tillmans gegenüber keine Wertung geäußert, weder die von ihm behauptete noch irgendeine andere“, teilt uns Giovanni di Lorenzo zum Vorgang mit. „Richtig aber ist, dass die Chefredaktion den Artikel aus dem Blatt genommen hat. Eine derart krude Beschreibung sexueller Praktiken – ganz gleich, welcher Art – entspricht nicht dem Stil und dem journalistischen Anspruch der Zeit.“
Wir hingegen wollen die durch den Text und seine Zensierung aufgeworfenen Fragen mit unseren LeserInnen diskutieren. Ist die Anleitung, wie ein Mann ohne Stimulation seines Penis einen Orgasmus erleben kann – verbunden mit der These, dies könne gar dem Weltfrieden dienen –, tatsächlich pornografisch und in einer Zeitung fehl am Platz? Oder handelt es sich um ein lebensweltliches Thema, das vorgestellt werden sollte? Wortmeldungen, pro wie contra, bitte an loch@taz.de. Wir bleiben dran – und drucken den Beitrag von Baltazar Castor unredigiert im Originalwortlaut.