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Archiv-Artikel

■ Zu den Wahlerfolgen von DVU und NPDin Brandenburg und Sachsen Rechte Parolen – leider kein Fallobst

betr.: „Ignoriert die Faschisten, wo ihr sie trefft“, Kommentar von Stefan Reinecke, taz vom 20. 9. 04

An einem normalen Tag müsste ich mich freuen. Doch nichts ist normal an einem Tag, an dem Rechtsradikale und Nazis mit über 9 Prozent in den Landtag meiner Heimatstadt einziehen. Die Alleinregierung der CDU ist gebrochen, und auch mit der FDP scheint die absolute Mehrheit nur hauchdünn auszufallen. Doch wenn ein Holger Apfel von einem guten Tag für das deutsche Volk spricht, so scheinen faule Ideen und rechte Hetzkampagnen aus längst vergessen gehofften Zeiten noch immer kein Fallobst zu sein.

Junge Menschen, so titulierte „Erstwähler“, also Menschen wie ich, bescheren dem rechten Rand parlamentarische Immunität und den Anschein in der Mitte des Landes angekommen zu sein. Der geschorene Pöbel trägt heute Anzug, und doch tönen die altbekannten Parolen aus seinem schlecht sitzenden Pelz. Wer jedoch arbeitslos und ohne Perspektive zurückbleibt, war schon immer empfindsamer für die einfache Melodie rechter Rattenfänger.

RICO VALTIN, Bannewitz

Ich denke, dass viele Berichterstatter und Politiker die Demokratie nicht ernst nehmen. Der Wähler kann, wenn er nicht demonstriert (was die Etablierten auch nicht gerne sehen) doch nur alle vier bis fünf Jahre einmal seine Stimme abgeben. Was soll er also tun, wenn er die Politik der Etablierten CDUSPDFDPGRÜNE in Sachen Blühende Landschaften unbefriedigend findet.

Aus demokratischer Vernunft trotzdem einen von denen wählen und diese noch bestätigen? Wohl kaum. Das geringste Übel von denen? Nicht, wenn alle gegen Arbeitslosigkeit rein gar nichts zu bieten haben. PDS? Nicht, wenn er vorher mit der SED heftige Probleme hatte. Bibeltreue, Panther, irgendwen sonst ? Merkt keiner. Einen Tag nach der Wahl haben die Etablierten die „sonstigen“ unter den Tisch gefallenen Stimmen vergessen und die Nichtwähler ohnehin. Da bleibt bei ganz vernünftiger Betrachtung nur die Wahl einer Partei, über die sich die Herrschenden noch ein paar Jahre weiter ärgern werden.[…]

Wir müssen halt dafür sorgen, dass es hier möglichst bald eine Wahlalternative gibt – möglichst eine mit Konzepten, zur Not aber auch ohne. Schließlich ist Regierungs- und Oppositionspolitik weitgehend konzeptfrei. THOMAS KELLER, Königswinter

Fast mit Wut habe ich den Kommentar von Herrn Reinecke gelesen, der sich zum passiven Verhalten gegenüber den Rechten äußert. Und fast reaktionär würde ich diesen betiteln. Die Analyse des NPD-Erfolges im Osten war zum Teil richtig, aber die Synthese daraus grundlegend falsch. Hinzuzufügen wäre noch, dass vor allem junge Wähler verstärkt faschistisch wählen.

Auch wenn demokratische Rechte immer mehr ausgedünnt werden, so lebt dennoch auch diese Gesellschaft vom offenen Diskurs und nicht der Ignoranz. Das Aufsteigen der Rechten absichtlich nicht zur Kenntnis zu nehmen, kann in die ganz falsche Richtung führen. Nämlich dann, wenn sich ein großes rechtes Wählerpotenzial nicht mehr gehört und anerkannt fühlt. Deshalb wäre es klug, aktiv zu werden und sich mit dem Rechtsradikalismus inhaltlich auseinander zu setzen, ehe sich dieser aus einem Gefühl der Demütigung militarisiert – in welcher Form auch immer.

ARTUR TARASSOW, Hamburg

Zitat: „Was tun mit den Rechtsextremen? Klug wäre es, ihnen nicht zu viel Publicity zu verschaffen. Die Drohung, dass Arbeitsplätze verschwinden, wenn die NPD gewinnt, hat in Sachsen nicht geholfen.“

Mich bedrückt der Wahlerfolg der Rechten auch sehr, aber ich tröste mich mit der Beobachtung, dass das Kapital sich in Diktaturen offensichtlich sehr wohl fühlt. Haben wir also mit einem Zuwachs an Investitionen zu rechnen? WERNER RAUCH, Frankfurt (Oder)

betr.: dito, „Debakel am Abend“ von Eberhard Seidel, taz vom 21. 9. 04

Nein! Der Aussage von Stefan Reinecke muss eindeutig widersprochen werden.

Die NPD und ihre Pendants zu ignorieren, ist der falsche Weg! Dies ist in Sachsen in den vergangenen Jahren leider schon ohne Erfolg geschehen. Den Menschen in Deutschland muss sachlich gesagt werden, welche Folgen eine Umsetzung von Forderungen der Rechten haben werden. Dass eine solche Haltung honoriert wird, hat die überzeugende Auseinandersetzung mit der PDS im Wahlkampf in Brandenburg durch die SPD gezeigt.

Zuzustimmen ist Stefan Reinecke, dass im Osten Deutschlands viel von der PDS abhängen wird und schon abhängt. Sie ist allerdings nicht die einzige Partei, die Möglichkeiten hat, ein weiteres Erstarken Rechtsextremer zu verhindern. Notwendig ist es, den Wählern und Nichtwählern Handlungsoptionen realistisch aufzuzeigen und keine überzogenen Hoffnungen zu schüren. In dieser Hinsicht war für mich – obwohl kein SPD Wähler – Matthias Platzeck ein Lichtblick im zurückliegenden Wahlkampf.

Noch wichtiger ist – und dies gilt für ganz Deutschland – den Menschen klar zu machen, dass es keine „da oben“ gibt, die ihnen die individuelle Problemlösung servieren werden, sondern dass sie selber politisch aktiv werden müssen – noch können sie es. […]

Zu Eberhard Seidel: Und ich dachte schon, ich wäre der Einzige, der bei den Bildern der Tagesschau entsetzt wegschalten musste. Der Versuch, die Vertreter der DVU und NPD wie den Bären am Nasenring kurz vorzuzeigen und der Bevölkerung zu erklären, wie schlimm die denn seien, war wirklich mehr als peinlich. Da wäre es zwar ein genauso schlechter Dienst für die Demokratie gewesen, deren Vertreter gar nicht erst einzuladen – die sauberere Lösung wäre es allemal gewesen. Warum die „Interviewenden“ nicht – wie vor der Wahl mitunter geschehen – konkrete Punkte aus dem Wahlprogramm angesprochen haben, um dann auf die dummen Mienen von Apfel & Co zu warten, ist mir ein Rätsel.

THOMAS PETZOLD, Dresden

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