piwik no script img

jenny zylka über Sex & Lügen Zu Gast für eine Nacht

One-Night-Stand, Regeln und Probleme: Was zu tun ist bei falscher Musik, falschen Zahnbürsten und falschen Gefühlen

Der klassische One-Night-Stand-Cocktail ist meiner Ansicht nach der Londoner „Cecil Pick-me-up“. Er besteht aus einem Eigelb, einem Glas Cognac und einem Teelöffel Kandiszucker und wird mit Sekt aufgefüllt. Sieht fragwürdig aus, riecht und schmeckt auch so. Aber bei diesem Drink geht es nicht um Geschmack. Sondern darum, dass derjenige, der einen „Cecil Pick-me-up“ bestellt (oder sich vom aufregenden Fremden spendieren lässt), mit ein wenig schmutziger Fantasie ein „take me home, bend me over and make me scream“ implizieren kann. Gibt es eine raffiniertere Art, einen One-Night-Stand einzufädeln?

Und trotzdem. One-Night-Stands – oje, oje. Fast nirgendwo im Bereich der hormonellen Rituale werden so viele Regeln so unterschiedlich ausgelegt. Dagegen klingen die paar Vorschriften beim SM (nicht zu fest zurren, immer mal wieder gucken, ob der Partner noch atmet, und niemanden in der kleinen Holzkiste unterm Bett vergessen) geradezu kinderleicht. Mit seinen One-Night-Stands kann man sich jedoch richtig auf die Nase legen. Um Verstößen gegen die vielen, schwierigen, ungeschriebenen One-Night-Stand-Gesetze vorzubeugen, habe ich extra ein paar schlechte Erfahrungen gesammelt.

Eine gute Freundin traf abends in einer Bar mal einen Mann, der „aussah wie Renegade“, was mir zum Beispiel schon gereicht hätte, um im Falle eines Einsame-Insel-Aufenthalts mit ihm den nettesten Gorilla vorzuziehen. Ich will aber nicht kleinmütig sein. Jedenfalls ging sie mit dem Engelslockengesicht nach Hause, und dort standen alle Platten von Marillion. Wobei meine Freundin die Sammlung der Bombastmusik nicht auf Vollständigkeit überprüfen konnte, sonst wäre sie nicht meine Freundin.

Was macht man in einem solchen Fall? Kann man in einer Wohnung übernachten, in der alle (oder auch nur ein, zwei) Marillion-Platten stehen? Kann man in einer solchen Wohnung überhaupt cosy werden? Ich sage nein. Es gibt Grenzen. Meine Freundin warf jedoch todesmutig ihre Jacke (zur Verhüllung) über das Plattenregal, die Unterwäsche hinterher und versuchte es trotzdem. Mit relativ geringem Erfolg. Selber schuld, wenn man mit Renegade mitgeht.

Auch vom Übernachten bei seinem One-Night-Stand geistern diverse Abschreckgeschichten durch meinen Bekanntenkreis: von dem Freund/der Freundin, der/die plötzlich vor dem Bett stand, von klitzekleinen Zahnbürsten oder Schuhen, die auf versteckte, nicht thematisierte Kinder (oder Zwerge) hinwiesen, und Schlimmeres: Ein Freund irrte sich bei seinem One-Night-Stand in der Tür und stand plötzlich im Elternschlafzimmer! Wirklich. Er fühlte sich wie 16, berichtete er.

Ein anderes Problem ist die Zwickmühle, die entsteht, wenn der One-Night-Stand einem so die kleine Welt gerockt hat, dass man ihn gerne zu einem One-Life-, -Year- oder zumindest -Week-Stand erweitern würde. Wie macht man das? Da hat man sich gerade als verwegene Menschen kennen gelernt, libidinös, spontan, wild, frei, und plötzlich meldet sich das buckelige, weggesperrte, peinliche Romantik-Alter-Ego.

Die üblichste Lösung ist, einen Zettel zu hinterlassen, am besten in großen Druckbuchstaben, um jede Emotionalität von der Hand zu weisen, und so, One-Night-Stand-entsprechend cool und metropolitan, Kontakt anzubieten. Etwa: JENNI 2245668. Oder, wenn man nun mal so ein Gefühlsknoten ist und sich nicht beherrschen kann, GRÜSSE JENNI 2245668. Das ist aber trotzdem nur eine magere Kaschierung für den Regelverstoß: One night heißt one night! Und keine weitere mehr!

Wenn man die Nacht hinter sich gebracht hat, tun sich wiederum Probleme und Regeln auf: Wie reagiert man, wenn man einem One-Night-Stand auf der Straße/im Büro/auf einer Party/bei einem Essen/an der Grotte von Lourdes begegnet? Weggucken, hingucken, nichts sagen, Hallo sagen, kurz auf den Oberarm packen, umarmen, küssen, ohne Zunge, mit Zunge, Fellatio? Knifflig. Das komplette Ignorieren eines One-Night-Stands ist aber wirklich nur zu empfehlen, wenn 1. ein Blackout mit im Spiel war oder 2. der One-Night-Stand einen böswilligen Partner mit Luchsaugen dabeihat.

Zu diesen Problemen kommt die regional unterschiedliche Ausprägung des Sexualgebarens. In Hamburg ist es unproblematisch, einen One-Night-Stand, mag er nun unvergesslich gut oder schlecht gewesen sein, bei einer zufälligen Begegnung so diskret und gleichzeitig vieldeutig aus den Mundwinkeln zu grüßen, dass man es nicht mal selber merkt. In Berlin dagegen wird der One-Night-Stand einem, wenn man Pech hat, bereits aus zwei Kilometer Entfernung ein erfreutes „Ick gloob, ick spinne! Wat machst’n du hier, Alter?“ zubrüllen, und dann schnurstracks angekumpelt kommen. In München muss man vermutlich nach einer Szene vor dem „Rossini“ ein Cabrio-Duell mit der/dem entzürnteN Ehefrau/Ehemann fahren. Der Verlierer darf Bayern nie wieder betreten.

Das ist schon eine schwierige Sache mit den One-Night-Stands. Aber sie haben auch etwas Gutes: Wer One-Night-Stands hat, kann davon erzählen. Bei einem gemütlichen, stressfreien „Leave-it-to-me“ unter Freunden: zwei Teile Gin, ein Schuss Maraschino, ein Teelöffel Himbeersirup, ein Teelöffel Zitronensaft.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen