Zu Besuch im Drogenlabor: Koffein, Kokain oder Backpulver?
Wer Drogen konsumiert, kauft sie auf dem Schwarzmarkt ohne Qualitätskontrolle. Bis jetzt. Denn Berlin soll bald ein Drug-Checking-Projekt bekommen.
„Beide Substanzen sehen gleich aus. Um es genauer zu untersuchen, müssen wir zuerst die Massen abgleichen.“ Nico Beerbaum deutet auf den höchsten Punkt eines Graphen, den ein Bildschirm vor ihm auf dem Schreibtisch zeigt. In dem kleinen Laborraum summt und brummt es. Es kommt von den vielen Apparaten, die hinter Beerbaum sind. Links an der Seite stehen sie auf Schränken, in der Mitte wie auf einer Kücheninsel. Einige sind vergilbt wie Computer aus den Neunzigern, andere anthrazitfarben. Auf einigen Geräten stehen Glasflaschen mit dünnen Schläuchen darin, andere haben Scheiben wie eine Mikrowelle. Alles wirkt klinisch und kühl. Alles, bis auf eine Bordüre aus Fliesen mit orangefarbenem Muster aus Kreisen und Wellen, ein Relikt aus den 70ern.
Nico Beerbaum ist Chemiker in der zentralen Arzneimitteluntersuchungsstelle im Landeslabor Berlin-Brandenburg. Seine Aufgabe ist nicht nur, in den beiden Bundesländern hergestellte Arzneimittel alle fünf Jahre auf ihre Zusammensetzung und Qualität zu überprüfen, sondern auch Analysen „von Amts wegen“, also im Auftrag von Zoll oder Landeskriminalamt durchzuführen. Auch Betäubungsmittel wie eben Kokain kommen ihm dabei ab und zu unter. Zwar hat das Landeskriminalamt ein eigenes kriminaltechnisches Institut. In manchen Fällen arbeiten sie aber zusammen, und die Aufträge werden ans Landeslabor vergeben.
Dass Beerbaum kleine Tütchen mit weißem Pulver untersucht, gehört also nicht zu seinen Kernaufgaben. Heute macht er es trotzdem. Die Probe im Tütchen hat er selbst gemischt. Um an ihr zu zeigen, wie das so aussehen würde in einem Labor, sollte in Berlin tatsächlich dieses Jahr das Drug-Checking-Projekt starten, bei dem Konsument:innen ihre Drogen auf Inhalt und Qualität testen lassen können. Das Landeslabor wird das Projekt wohl nicht umsetzen. Die Methoden sind aber die gleichen.
Ganz anders als im Chemieunterricht
Eine gute Stunde vorher: Die Substanz muss für den Test vorbereitet werden. Das passiert in einem anderen Laborraum. Ein bisschen sieht der so aus, wie man es aus dem Chemieunterricht kennt: Zwei Reihen weißer Anrichten stehen mittig im Raum, ausgestattet mit Waschbecken, braunen Glasflaschen, glänzenden Glaskolben. Hier brummen keine Maschinen, es klappern Pipetten, klimpern Reagenzgläser. Labortechnische Mitarbeiter:innen untersuchen Proben.
Nico Beerbaum, Diplomchemiker
Nico Beerbaum steht links im Raum an einer Anrichte. Gerade zieht er sich schlumpfblaue Handschuhe an. „Das ist nicht so wie bei CSI“, sagt er dabei. „Man steckt da nicht einfach den Finger rein, nimmt den in den Mund und sagt: ‚Oh, gute Qualität‘“. Seinen weißen Laborkittel trägt er offen über hellblauem Hemd und Jeans, vor der Brust hängt eine Schutzbrille. Vor ihm auf der Anrichte liegt das kleine Tütchen mit dem weißen Pulver.
Es ist dann aber doch einiges anders als im Chemieunterricht: „Die meisten der eigentlichen Tests machen mittlerweile Geräte“, sagt Nico Beerbaum. „Die Denkleistung und die Recherche davor muss aber der Mensch erbringen. Was könnte da drin sein, und welche Tests muss ich machen?“ In unserem Fall liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine organische Substanz handelt. Uns interessiert außerdem, welche Moleküle, also welche chemischen Verbindungen, da drinstecken.
Für den passenden Apparat muss die Probe aufgelöst werden. Mit einem dünnen Spatel nimmt Beerbaum geschätzt eine Zehntel Messerspitze von dem Pulver aus dem Tütchen heraus und gibt es in ein etwa einen Zentimeter hohen Glaszylinder hinein. Dann misst er Methanol ab und löst die Probe damit auf. Das Glas wird verschlossen, fertig vorbereitet ist die Probe.
„Die Geräte sind heute so fein, die würden die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen finden“, sagt Beerbaum. Wer Drogen im Rahmen des Drug-Checking-Projekts in Berlin testen lassen möchte, müsste also nur einen kleinen Teil davon abgeben. Dass das Projekt umgesetzt werden soll, ist im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschrieben. 120.000 Euro stehen 2019 zur Verfügung. Ein kleiner Erfolg, denn seit den Neunzigerjahren setzen sich Aktivist:innen dafür ein. In Ländern wie der Schweiz gibt es Drug-Checking schon.
Die Idee dahinter: Die Substanzen kommen vom Schwarzmarkt, und der hat keine amtliche Qualitätskontrolle im 5-Jahres-Rhytmus. So kann es sein, dass das, was als Heroin gekauft wurde, tatsächlich das vielfach stärkere Opioid Fentanyl enthält. Oder dass in Ecstasy-Pillen nicht nur die gewünschten Substanzen MDMA und Speed sind, sondern zum Beispiel auch das Halluzinogen 2C-B. Sprich: Beim Konsum kann es zu unerwarteten Wirkungen oder zu versehentlicher Überdosierung kommen. Mit Drogenkonsum geht zwar immer ein Risiko einher. Durch die Drug-Checking-Maßnahme soll es eingedämmt werden, weil Konsument:innen so eine bewusstere Entscheidung treffen. Und Drogen-User:innen gibt es viele.
Es fehlt das Ok der Polizei
Ob das Projekt wirklich durchgesetzt werden kann, steht noch nicht fest. Polizei und Staatsanwaltschaft müssten dazu noch ihr Einverständnis geben, die Personen, die ihre Drogen zum Testen abgeben wollen und die, die sie untersuchen, nicht zu verhaften. Wenn es zu einer Einigung kommt, könnten Konsument:innen ihre Drogen nach jetziger Planung zu festen Sprechstunden in drei Beratungsstellen abgeben und nach ein paar Tagen bei einem Beratungsgespräch die Ergebnisse abholen.
In der Zwischenzeit werden die Drogen der Konsument:innen dann aufbereitet, so wie Beerbaum das eben gemacht hat, und in ein solches Gerät gesteckt, vor dem der Chemiker nun steht. Es ist eines in der Mitte des kleineren Laborraums. Noch immer brummt es hier. Die Probe steht nun hinter einer Glasklappe des Geräts. Da drin passiert die ganze Magie. Es ist ein HPLC, ein Hochleistungsflüssigkeitschromatograph.
„Mit einer kleinen Spritze wird hier ein Mikroliter, also etwa ein Stecknadelkopf, aus der Probenlösung entnommen“, sagt Beerbaum. „Über eine Säule werden die einzelnen Bestandteile dann voneinander getrennt und dann durch diesen dünnen Schlauch in eine zweite Apparatur geleitet.“
Es ist ein Massenspektrometer, ein Gerät mit einem hohen Rohr. Was darin passiert? „Das ist, wie wenn Sie eine Hand voll Müsli in die Luft werfen. Die Rosinen sind schwerer als die Haferflocken, werden höher geworfen und kommen dann auch nach den Haferflocken auf dem Boden auf.“ Anhand der Flugzeit lässt sich also sagen, wie schwer die Moleküle sind. Es gilt: Je genauer man die Masse herausbekommt, desto besser lässt sich das Molekül bestimmen.
Hohe Kosten, aufwendige Prozedere
Das macht der Computer. Nach 16 Minuten zeigt der einen ersten Graphen mit einigen Peaks an. Sie zeigen die Retentionszeit, also die Zeit, die das Molekül zum Passieren der Säule gebraucht hat. Daran, dass es einige sind, sieht man: In der Probe sind mehrere Stoffe. Beerbaum klickt auf eine Spitze, kopiert die angezeigte Masse und öffnet eine Datenbank. Mehr als 7.000 Substanzen sind darin. 21 davon werden beim Abgleich angezeigt. Kokain ist darunter, Koffein und ein Potenzmittel. „Wir schauen uns jetzt die Fragmente des Moleküls an“, sagt Beerbaum. „Wenn man Moleküle zerbricht, sind die Bruchstücke – anders als bei einer Vase – immer die gleichen. Also können wir sie abgleichen.“ Das Ergebnis: Dieser Peak ist eindeutig Kokain.
Ein Abgleich der anderen Ausschläge zeigt: In dem Pulver ist außerdem Koffein. Ob die Probe gestreckt wurde – beispielsweise mit Backpulver – sieht man nicht, da Backpulver eine anorganische Substanz ist, die dieses Gerät nicht anzeigen kann.
Um das herauszukriegen, müsste man noch weitere Tests machen. Je genauer beim Berliner Drug-Checking die Proben also untersucht werden, desto aufwendiger wird das Prozedere im Labor – und desto teurer. Die Kosten für diesen einen Test liegen nach Beerbaum bereits bei mehren Hundert Euro.
Trotz dieses Aufwands befürwortet auch Chemiker Beerbaum das Projekt. „Jahrzehntelang wurde versucht, per Gesetz den Konsum der Leute zu ändern“, sagt er. „Vielleicht steigert das Drug-Checking das Bewusstsein der Leute dafür, was sie da eigentlich nehmen – und sie lassen es dann.“
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