: Zornig-unbarmherziger Kritiker
■ Thalia-Rundgang zu Wirkungsstätten Ariel Gorals
Sein Leben umspannte fast das ganze letzte Jahrhundert und spiegelt zugleich dessen Brüche in besonderer Art und Weise. 1909 geboren, sieht Walter Sternheim noch den Kaiser bei einer Parade, aber bald darauf erschossene Aufständische. Er wird aktiv in der jüdischen Jugendbewegung, emigriert 1934 nach Palästina, engagiert sich dort vielfältig und kehrt 1953 nach Hamburg zurück. Hier nimmt Arie Goral, wie er sich inzwischen nennt, peu à peu die Rolle eines Gesellschaftskritikers ein. Vielen bleibt er als leicht erregbarer, zorniger Mann des öffentlichen Lebens in Erinnerung, als er 1996 stirbt.
Arie Goral inszeniert – Ich war auf die mir mögliche Weise glücklich heißt das Theaterprojekt von Thalia Treffpunkt und Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule. Im ehemals vorwiegend von Juden bewohnten Grindelviertel gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte an Gorals Leben: reale und assoziative.
Die Zuschauer finden sich im Postamt an der Schlüterstraße, in einem Keller im Durchschnitt und vor der Staatsbibliothek – die Dank Gorals Bemühungen den Namen Carl von Ossietzkys trägt. Man steht viel, lauscht Texten: Das innere Auge ist gefragt, politische Wertungen erfolgen zwischen den Zeilen. Bequem ist das nicht – und so passt das Projekt gut zu Arie Goral. Rund zwölf Darsteller zitieren aus Gorals Nachlass. Unter der Regie von Herbert Enge, Dörte Haksen-Pott und Erika Hirsch skizzieren sie mit Hilfe von Aufzeichnungen, von Briefen und Reden, Artikeln und Buchzitaten das Bild eines unversöhnlichen Kämpfers gegen das Vergessen der Shoah, gegen feinste Anzeichen von Antisemitismus. „Opfer zu sein“, sagte er mit Blick auf die von ihm auch lange betriebene Malerei, „ist ein entscheidender Bestandteil der mich umgebenden, von mir aufgenommenen und von mir gelebten Realität.“ Aus der Opferrolle brach er zwar permanent aus, verschuf den Opfern aber stetig Gehör.
Arie Goral inszenierte täglich – sich und seine Themen. Und er stieß auf viel Ablehnung, denn er war radikal. Der Theaterrundgang mit seinen Ausblicken auf Gorals Kultur- und Gesellschaftskritik, auf Stationen seines Lebens, bleibt im Vergleich zu Gorals Hyperaktivität fast akademisch. Obwohl engagiert vorgetragen, können die Texte den Menschen Goral nur im Ansatz erschließen: Ein Jahrhundert Leben muss zwei Stunden Rezitation sprengen. Trotzdem: Man lauscht dem Echo seiner Schritte wie einem fesselnden Roman.
Oliver Törner
Nächste Aufführungen: 28./29.6., 19 Uhr, Karten unter Tel.: 32814139
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