: Zivilisationskritik als Rollenmodell
■ In Trainspotting von Danny Boyle treten neue Helden mit zynischem Credo in den Kinosaal
Es beginnt mit einer Verfol-gungsjagd. Eine Clique wird von zwei Kaufhausdetektiven durch die Straßen gehetzt, bis mit einem Mal einer von ihnen, Renton, über die Kühlerhaube eines Autos purzelt und auf die Autoscheibe einprügelt, hinter der sich die Kamera versteckt, hinter der sich der Zuschauer nicht mehr verstecken kann. So macht Trainspotting von Anfang an klar, daß es hier darum geht, die Distanz zwischen Publikum und Leinwand zu verringern, bis sie möglicherweise ganz verschwindet. Dies ist aber genau die Definition für einen Kultfilm, an den sich Erfahrungen außerhalb des Kino-saals wie Partys, Mode, Frisuren und Zitate anschließen.
Und genau darauf spekuliert Trainspotting mit dem Untertitel Neue Helden – womit es bei dem Film von John Hodge und Danny Boyle, den Machern von Kleine Morde unter Freunden, weniger darum geht, ob es ein guter Film ist, sondern, ob er denn zum Kult taugt. Damon Albarn, Sänger der Britpop-Gruppe Blur und Experte für Kulte, ist sich da ganz sicher, wenn er Trainspotting vorauseilend mit dem Einfluß von Quadrophenia auf eine ganze Generation vergleicht.
Doch ob ganze Kinosäle die Dialoge von Trainspotting aufsagen werden, läßt sich – das zeigt die Reihe der Kultfilme von Casablanca bis Pulp Fiction – weder herbeireden noch von Marketing-Seite planen. Insofern manchem Pop-Phänomen ähnlich („Wir sind eine Popgruppe“, sagt auch Danny Boyle), werden es die Zuschauer selbst entscheiden, ob sie die Lebensmodelle und Zeitdiagnosen des Films übernehmen.
Nur, was für ein Mythos des Alltags entstünde denn auf der Basis von Trainspotting? Daß es sich bei Renton, Spud und Sick Boy, deren Leben sich zwischen Squatting, verlausten Betten und Kleinkriminalität abspielt, um Pusher handelt, wird sich ebenso herumgesprochen haben wie die Balance, die Trainspotting zwischen Lust und Sucht hält, zwischen gesteigerter Realität und Abhängigkeit von Heroin, Morphin, Nitrazepam und Opium, dem Renton in dem verschissensten Klo Schottlands nachtaucht. „Nimm den besten Orgasmus mal tausend und du bist noch nicht mal nah dran“, heißt es im Film über die Wirkung eines ganz gewöhnlichen „hits“. Werbewirksamer hätte es der Interessenverband der Dealer kaum formulieren können. Vor allem im Zusammenhang mit der Darstellung von Entzugserscheinungen als schmuckem Alptraum mit Falltüren und roten Teppichen.
Dabei ist Renton über den Voice-Over immer souverän, denn er erzählt die Geschichte und beschreibt die lähmende Langeweile der Normalos in einem zynischen Credo: „Sag ja zum Bausparvertrag! Sag ja zu Do-It-Yourself und dazu, daß du am Sonntag morgen nicht mehr weißt, wer du bist!“ So reiht er sich in eine Reihe mit faszinierend-wütenden Zivilisationskritikern aus der Pop-Branche ein und verkörpert eine beliebte Kultfigur: einen Pusher, der alles, oder wenigstens das meiste, im Griff hat.
Volker Marquardt
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