Unter Weihnachtsbäumen: Geschenktipps aus der Redaktion : Zierkürbisköpfig
Arne Bellstorf: „acht, neun, zehn“. Reprodukt. Berlin 2005, 93 S., 13 Euro
Die Koniferen in der Siedlung sind gestutzt, auf dem Bürgersteig liegt ein kreidiges „Himmel und Hölle“ in der Sonne: Sommerferien im Einfamilienhaus-Suburbia, alles ganz furchtbar deutschnormal, und Christoph ist nicht in Urlaub gefahren. Seine Mutter giggelt über der Hecke mit der Nachbarin oder packt ihm Pizzen in die Tiefkühltruhe, wenn sie sich wieder mal in Hotels mit fremden Männern oder seinem weggelaufenen Vater trifft. Nach den Ferien wartet auf Christoph ein zweites Jahr in der zehnten Klasse. Noch dazu mit einer astreinen Pubertät am Hals hängt er rum in diesem doppelten Dazwischen, kauft Videospiele, schlurft von der Konsole zum Bett und wird von anderen Jungs Sachen gefragt wie: „Hast du schon den ersten Endgegner geschafft?“ Dann aber lernt er Miriam kennen.
Der 26-jährige Hamburger Arne Bellstorf macht mit seinem ersten Reprodukt-Comicband „acht, neun, zehn“ in Sachen lakonischer Treffsicherheit dem Lieblingszeichner Daniel Clowes („Ghost World“, „David Boring“) Konkurrenz. Wie Christoph halslos das Gesicht aus den hängenden Schultern wächst, wie die Ohren irgendwo ganz weit hinten unten am Zierkürbiskopf sitzen und wie cool gleichgültig und doch unsicher sein Körper durch die hingezirkelte Vorortwelt und den versuchsweisen sexuellen Erstkontakt mäandert: Das ist so zurückhaltend zärtlich in Schwarzweißpanels gegossen, so ungekünstelt wortarm gelassen, so ohne Bombast perspektivenreich und in seiner unbeholfen britzelnden Langeweile-Überwindungssehnsucht so schmerzlich schön bekannt. Da sagt man nicht an einer Stelle milde lächelnd: Ach ja, damals … Da sagt man: Genau! Und: Super!
KIRSTEN RIESSELMANN