piwik no script img

Zerstören für Olympia

Ursprünglich hatte sich Athen für grüne Spiele beworben, doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Für das olympische Dorf muss nun sogar das Naherholungsgebiet am Berg Parnitha weichen

aus Athen TORSTEN HASELBAUER

Nach den Olympischen Spielen im August 2004 wird die Stadt Athen wieder ein gutes Stück gewachsen sein. Diesmal in Richtung Norden, den Berg Parnitha hinauf. Nichts Neues eigentlich, fast täglich ist an den Rändern der griechischen Hauptstadt unorganisierte Stadterweiterung zu beobachten. Doch die urbane Zersiedelung des Berges Parnitha „läuft nach Plan“. Oder genauer: nach einem strengen olympischen Plan, den die Athener Strategen im Organisationskomitee „Athoc 2004“ ausgeheckt haben. Am Fuße des 1.413 Meter hohen Berges entsteht nämlich das olympische Dorf.

Die ersten Baumaschinen sind im September angerückt und graben sich nun tief in die Erde. In knapp tausend Tagen werden dieses 12,4 Hektar große Gebiet rund 17.000 Athleten bevölkern – und täglich rund 54 Tonnen Müll produzieren. Nach dem Auszug der Sportler sollen sich dann 10.000 Athener Bürger in den 2.300 Wohnungen heimisch fühlen. Ab Herbst 2004 also ist die Fünf-Millionen-Einwohner-Metropole Athen wieder mal um einen Stadtteil reicher – und hat gleichzeitig eines seiner letzten öffentlich zugänglichen Naherholungsgebiete verloren.

Berg als grüne Lunge

„Wir können an diesem Bauprojekt nicht einmal mehr Schadensbegrenzung betreiben“, erklärt der frustrierte griechische Greenpeace-Chef Nikos Charalambides. Seit Jahren schon haben die grünen Aktivisten darauf hingewiesen, wie wichtig der Berg „als grüne Lunge“ für die unter der Sommerhitze leidende Stadt Athen ist. Und sie haben den Olympiamachern schlüssige Alternativvorschläge für das olympische Dorf präsentiert. „Warum werden die Athleten nicht in einem bereits bestehenden Athener Stadtteil untergebracht und integriert, der damit gleichzeitig eine infrastrukturelle Aufwertung erfährt?“, fragt sich mittlerweile nicht nur die Greenpeace-Zentrale in Athen.

Doch dieser durchaus schlüssige Vorschlag kam ebenso wenig auf den Olympiatisch wie zahlreiche andere Anregungen der Ökologen zu den Themen Abfallbeseitigung, Verkehr und Mobilität, Verwendung erneuerbarer Energien, Verzicht auf die Energie killenden Klimaanlagen vor allem in den Wohnstätten für die Sportler und Journalisten. „Die Olympiaorganisatoren haben wohl vergessen, dass sie in den 90er-Jahren eine ‚grüne Bewerbung‘ zum Internationalen Olympischen Komitee nach Lausanne gesendet und dafür viel Zuspruch gefunden haben“, rügt der 40-jährige Physiker und Greenpeace-Direktor Charalambides.

Allianz gegen Olympia

Immerhin lassen sich die olympischen Störenfriede durch die Öko-Niederlagen nicht unterkriegen und melden sich weiterhin kritisch zu Wort. Das ist zwar weniger gefährlich, als mit einem Schlauchboot einen undichten Öltanker in der Ägäis zu entern, doch ein wenig Mut erfordert dies auch. Denn wer die für Griechenland so prestigeträchtige „nationale Aufgabe“ Olympia und ihre langfristig negativen Konsequenzen für diese Stadt und ihre Bürger hinterfragt und offen benennt, wird ziemlich misstrauisch angeschaut. Das hat mittlerweile die gesamte bunte Athener Anti-Olympia-Allianz, bestehend aus Stadtplanern, Anwohnern olympischer Stätten, Archäologen, Teilen der parteiorganisierten Linken, unorganisierten Linken und Intellektuellen, erfahren. Jede dieser Gruppen kämpft für sich isoliert in den verschiedensten Athener Stadtteilen.

Athen als Großbaustelle

Rund 1.000 Menschen sollen eine aktive Anti-Olympia-Politik in Athen betreiben, von einem massenwirksamen, gut organisierten und vernetzten Widerstand zu sprechen, wäre jedoch übertrieben. Die Olympiagegner in Hellas verfügen weder über ein zentrales Büro noch über einen gemeinsamen Internetauftritt, wie beispielsweise ihre Mitstreiter aus Helsinki, die gegen die letztlich gescheiterte Bewerbung für die Winterspiele 2006, die nach Turin gingen, ganz ordentlich mobil gemacht hatten. Dennoch gelingt es den griechischen Olympiagegnern bemerkenswert häufig, für Debatten zu sorgen. Bekannte Stadtplaner, wie beispielsweise Michalis Polisos, Professor für Stadtentwicklung an der Athener Universität „Polytechnikum“, klagen in öffentlichen Hearings immer wieder das bürgerferne „olympische Facelifting“ an. Hauptkritikpunkt ist die Zerstörung und Versiegelung des ohnehin geringen öffentlichen Raumes, der den Athener Bürgern noch verblieben ist.

Nur zwei Prozent der Fläche der Hauptstadt Griechenlands ist nicht zubetoniert – und da sind die Friedhöfe schon mit eingerechnet. Dennoch wird überall fleißig gegraben. Für zwei Wochen Weltöffentlichkeit putzt sich Athen ohne Rücksicht auf Verluste ordentlich heraus, die Stadt gleicht einer riesigen Baustelle.

Der dem Meer zugewandte Stadtteil Palai Faliro beispielsweise wird mit einem protzigen olympischen Hafen versehen. Die vielen Athener Bürger, die hier bislang im Saronischen Golf schwammen oder sich in den warmen Sand legten, können nach Olympia dann teure Segelboote anschauen. Auch zahlreiche kleine öffentliche Sportplätze in dieser Region werden einem lang gestreckten Hafenboulevard mit schicken Cafés weichen müssen.

„Athen hat durch die Olympischen Spiele die fast einmalige Chance vertan, sich zu einer sport- und bürgerfreundlichen Stadt zu entwickeln“, erklärt ein wenig resigniert der populäre Professor Polisos. Der Athener Publizist und Sportjournalist Kostas Kalfopoulos bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „Wir brauchen keine Bogenschießanlage für tausend Zuschauer, keine drei Tennisanlagen für 30.000 Zuschauer und auch keine anderen großen Sportarenen. Diese Stadt hat Monumente genug. Was wir benötigen, sind Tennisfelder, Fußball- und Basketballfelder in den Stadtteilen für die Athener Menschen, die dort leben, und nicht für ein paar gut verdienende Profis, die uns zwei Wochen lang besuchen kommen.“

Steuererhöhung droht

Immerhin konnte die Anti-Olympia-Allianz auch Erfolge verbuchen: Mit vereinten Kräften verhinderten Ökologen und Archäologen, dass direkt neben der geplanten Kajak- und Kanustrecke in dem Gebiet Schinias, nicht weit vom Grabhügel Marathon entfernt, ein riesiger Parkplatz in ein Feuchtgebiet gesetzt wird. Der Vorschlag, mit den Wassersportaktivitäten doch auf einen See nahe der westgriechischen Stadt Ioannina auszuweichen, der bereits über die nötige Infrastruktur verfügt, wurde von den Olympiaplanern allerdings abgeschmettert mit dem Hinweis auf geltende IOC-Regeln. Danach müssen alle Sportstätten nahe dem Zentrum der Spiele beheimatet sein.

Durch diese Bestimmung wird sich zum Ärger vieler Griechen die Athen-Fixierung ihres Landes noch weiter verfestigen. Bereits jetzt leben in der Hauptstadt 45 Prozent der Gesamtbevölkerung Griechenlands. Bürger und Kommunalpolitiker aus vielen anderen, oft strukturschwachen Gebieten in Hellas klagen darüber, dass mit dem Verweis auf den „olympischen Faktor“ viele ihnen schon lange versprochene Projektmittel plötzlich gekürzt oder geblockt werden. „Und nach den Spielen gibt es dafür überhaupt kein Geld mehr, weil die Olympischen Spiele für unser Land defizitär waren“, meint der Aktivist Jannis Schizas und befürchtet: „Wenn die ganzen Sportler, Journalisten, Touristen und IOC-Funktionäre aus Athen wieder abreisen, werden die Steuern erhöht und uns Bürgern wird es noch schlechter gehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen