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Zentralistisches Relikt

In Treptow regiert Jugendstadtrat Stahr (CDU) sein Hoheitsgebiet auf eigenwillige Weise. Von jedem Elternabend-Protokoll eine Kopie an das Amt  ■ Von Marina Mai

Wenn eine Kita-Gruppe aus Treptow das FEZ oder den Britzer Garten besuchen will, muß die Erzieherin zuvor eine Genehmigung beim Treptower Jugendamt einholen. Der Grund: Das FEZ (Köpenick) und der Britzer Garten (Neukölln) liegen außerhalb der Bezirksgrenzen und damit außerhalb des Hoheitsgebiets des Jugendstadtrates Joachim Stahr (CDU). Besuchen die Kinder hingegen ein Kino am anderen, weiter entfernten Ende des eigenen Bezirks, braucht man Seine Durchlaucht nicht um Genehmigung ersuchen.

Das ist nur eine Eigenwilligkeit des Zentralismus, den sich Joachim Stahr leistet und der nach Überzeugung von Martin Graetz vom Landeselternausschuß berlinweit einmalig ist.

Für juristisch fragwürdig hält Martin Graetz auch die vor einigen Wochen an alle Treptower Erzieherinnen ergangene Weisung, wonach Protokolle von allen Elternversammlungen beim Jugendamt abzugeben seien. Wie ist das mit dem Datenschutz vereinbar? Was geschieht mit den Protokollen? Wer wertet sie aus? Werden sie archiviert? Was, wenn sich in zwanzig Jahren das heutige Kita-Kind um eine Stelle beim Treptower Bezirksamt bewirbt und aus den Archiven hervorgeht, die Mutter sorgte sich um den einst Dreijährigen, weil der noch einpullerte?

Ein Ärgernis für Treptower Eltern ist auch die zentrale Kita-Einweisungsstelle, ein Relikt aus DDR-Zeit, die allein Anmeldungen für Kinder auf einen Kita-Platz im Bezirk annimmt und den Kitas die Kinder zuweist. Oder umgekehrt. Ein Wunsch auf eine bestimmte Kita kann damit nur selten berücksichtigt werden. Nicht die Kitas, die für gute Betreuung bekannt sind, bekommen viele Anmeldungen, sondern die, die in der Gunst des Bezirksamtes stehen. Christdemokrat Stahr hält's nicht mit der Marktwirtschaft. Viele Treptower Kitas erfuhren erst kurz vor Beginn des neuen Kita-Jahres, wie viele Plätze sie noch haben. Und sie bekamen auch gleich die Kinder dafür zugewiesen.

Die vom Senat vereinbarten Haushaltseinsparungen böten nun die Chance, daß sich Stadtrat Stahr von diesem zentralistischen Relikt trennt. Martin Graetz vom Landeselternausschuß kennt keinen zweiten Bezirk, der sich noch eine zentrale Kita-Einweisung leistet. „In Lichtenberg wird sie gerade abgeschafft, in den anderen Bezirken ist sie es schon.“ Ein Antrag der Treptower SPD auf Abschaffung der Kita-Zentrale wurde vor eineinhalb Jahren gestellt. Der ist im Ausschuß versandet.

Anders als in den meisten anderen Bezirken gibt es in Treptow noch keinen Bezirkselternausschuß, obwohl sich einzelne Eltern darum bemühen. Vita Flohr ist eine von ihnen und vertritt die Meinung, das Jugendamt verzögere die Bildung bewußt. „Wenn ich über das Amt Briefe an die Elternvertreter aller Treptower Kitas verteile, besteht die Amtsleiterin darauf, die Briefe zuvor zu lesen.“

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