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Zen oder Husten

■ Der Kampf der Grippeviren im klassischen Flötenkonzert

Seit Wochen hat sich Dora H. auf das Konzert von Yoshikazu Iwamoto gefreut. Daneben hatte sie immer nur das eine im Kopf: die Grippe. Doch Dora H. versprach sich Genesung beim Meister der japanischen Shakuhachi-Flöte. Zen könnte ihr das Herz weiten, die meditativen Klänge würden die entzündeten Bronchien salben.

Mit Tempos und Kräuterbonbons bestückt fand Dora H. am Sonntagabend vor etwa 70 Menschen einen Platz in der ersten Reihe des Überseemuseums. Schnell begann die Kulisse zu wirken. Angesichts der Geschichten murmelnden Südseeboote und grün umsäumten Palmenhütten versanken die Grippeviren im Fernweh. Doras Lungen folgten demütig ihrer natürlichen Bestimmung und pumpten Ströme reinsten Sauerstoffs durch ihre Trägerin.

Überall hatte sich andächtige Ruhe breitgemacht, noch bevor Yoshikazu Iwamoto zwischen den Pfahlbauten hervortrat. Da war er, der Meister, international bekannt, in Japan hochgeehrt! Mit 13 begann der heute 50jährige Yoshikazu Iwamoto, Gastprofessor für Japanische Musik an der University of Durham, die Shakuhachi zu studieren. Die einfache Bambusflöte soll bereits seit dem 13., spätestens aber seit dem 17. Jahrhundert mit dem Zen verbunden sein. Zu dieser Zeit gründeten die „Mönche der Leere und des Nichts“, führungslose Samurai, in Kyoto einen neuen Tempel. Die Krieger tauschten die Schwerter gegen die Shakuhachi, gaben ihr aber eine verteidigungsdienliche Form. Seither hat sie ein leicht keulenartiges Aussehen und eine alles schlagende Tonvielfalt. Ihr warmer Klang begleitete die Gebete der Bettelmönche auf der Straße, die Flöte diente neben der Sitzmeditation und dem Fechten als religiöses Lehrmittel. Dabei strebte die Kyoto-Sekte nach dem „Erreichen von Erleuchtung durch den Gebrauch eines einzigen Klanges“.

Yoshikazu Iwamoto gilt als einer, der dieses Kunststück beherrscht. Schon seine traditionelle Kleidung und Gestik lassen ahnen: Er kennt den Reichtum der Askese, die Freiheit der Disziplin. Ganz strenge Form, kniet der Meister auf dem Holzboden nieder, zirkelt das Instrument an die Lippen – und verwandelt das Museum in einen unendlichen Raum.

Während die Umsitzenden sich mit geschlossenen Augen darin ergehen, entbrennt ein wütender Kampf im Inneren der Dora H.. Kaum entrinnt der Flöte der erste Ton, der die Sonne aufgehen und Landschaften erblühen läßt, stockt Dora H. der Atem. Ein unbändiger Hustenreiz macht sich breit. Schlucken, Dora, und durchatmen! Sie wühlt in den Erinnerungen ihrer Selbstverteidigungsschulung und nach den Kräuterbonbons. Das Rascheln des Papiers, das Schlucken scheint überdimensional verstärkt in der absoluten Stille des flötenverzauberten Raumes. Schon wirft der erste Nachbar böse Blicke. Mit Mühe erreicht Dora H. das Ende des Stückes, um endlich im tosenden Beifall unbemerkt zu husten.

Das zweite Stück, „Sehnsucht nach dem Glöckchen“, macht die Tempotücher zwingend. Niesen und Husten kündigen sich gleichzeitig an. Beides kann erfolgreich zurückgedrängt werden, es darf sogar von zwischenzeitlicher Entspannung gesprochen werden. Sechs Hustenbonbons später erzählt ein Stück vom hohen japanischen Norden, wo es im Winter zu heftigen Schneefällen kommt. Wunderschön, doch Dora H. kann sich nicht mehr retten. Sie plaziert einen lange unterdrückten Huster mitten im Winter.

In der Pause steckt man die Köpfe zusammen. Sicher bezichtigt man Dora H. der Gotteslästerung. Kommt erkältet in so ein Konzert, und raucht auch nocht! Tatsächlich geht es Dora H. in der Pause so gut, daß der Nikotin ohne ein einziges Flirren die Bronchien passiert. Doch kaum dreht der Meister erneut die sieben Welten, überfällt sie der nächste Erstickungsanfall. Sie ringt um Atem, hüstelt verhalten in den Ärmel ihres Wollpullovers, beißt Zähne, tupft Tränen. Vergeblich. Bevor das Publikum über sie herfällt, flieht die Kriegerin aus dem Saal. Endlich frei, denkt sie, und erfährt, daß schon ein einziger Huster eine Art Erleuchtung bringen kann.

Natürlich bedauert sie, Iwamotos meisterliche Musik nicht mehr hören zu können, aber sie ist heute selbstfindungsmäßig weitergekommen: Sie weiß jetzt, daß sie nur dort husten muß, wo sie partout nicht husten darf. So ein schlichtes Seelchen, aber Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Den Abend beschließt Dora H. jedenfalls mit einem kräftigen Shakuhachi, Gesundheit! dah

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