: Zen des Geigentons
■ Neu entdeckt im Bremer Podium: der italienischen Komponisten Giacinto Scelsi
Er sei, sagte er, 2637 v. Chr. in Mesopotamien geboren. Er sei kein Komponist, sondern ein Medium. Er verlangte, daß man niemals über ihn, sondern nur über seine Musik sprich. Er verbot es, von ihm jemals Fotos zu machen, und gab stattdessen ein Zen-Symbol mit seiner Unterschrift ab: Alles ist anders, geheimnisvoll an dem italienischen Komponisten Giacinto Scelsi, der 1905 geboren wurde und 1988 starb. Noch 1979 steht er – also im Alter von 74 Jahren – nicht in den wichtigsten Musiklexika, und doch, so der Musikfachmann Heinz Klaus Metzger hat er „die ganze Musikgeschichte außer Kraft gesetzt und ein total neues Hören postuliert“. Der italienische Graf, der Zeit seines Lebens mit dem Komponieren nie einen Pfennig verdienen mußte und seine Musik auch nie der Öffentlichkeit präsentieren wollte, reagierte mit schwerer körperlicher Krankheit auf die Wiener Dodekaphonie, gesundete durch die Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus und nennt die vorgregorianischen koptischen Gesänge und die persische Sufi-Musik seine wichtigsten Inspirationsquellen. Und man möchte seine Musik doch bitteschön nicht mit der der handwerklichen Tonsetzer verwechseln.
Tatsächlich muß man für das Hören seiner Musik alles weglassen, was man so kennt: die Kategorien von Anfang und Ende, von Entwicklung, Kontrast, Diskurs, Polyphonie. Nicht der Ton ist für Scelsi ein historisches Material, sondern er ist Materie selbst, die er über seine Kompositionsprozesse als „schillernde Organismen“ entfaltet, sie zu immer neuem vegetativem Leben bringt. Kommentare zu seiner Musik lehnte er ab, Musik sei, sagte er allerdings, „die Verneinung dessen, was den Menschen trübe macht“. Nach seiner Entdeckung in den achtziger Jahren wurde er einer der einflußreichsten „Lehrer“ für junge KomponistInnen.
Bis heute kann man die Musik von Scelsi – sieht man einmal von Spezialfestivals ab – selten hören. Das hängt einmal mit ihrer Fremdheit, zum anderen aber auch mit ihrer interpretatorischen Schwierigkeit zusammen: Deswegen ist die heutige Aufführung zweier Streichquartette durch das Freiburger Pellegrini-Quartett und einiger Ensemblestücke durch Mitglieder des Baden-Badener Ensembles 13 mit Sicherheit ein Ereignis. „Ich erinnere mich an Dein Reden von der Gewalt des Klanges; seine Macht über alles in unmittelbarer Nachbarschaft und wie der Klang den Emfänger verwandelt und auf ihn einwirkt“, schreibt die Cellistin Frances Marie Uitti in ihrem Nachruf auf Scelsi. Wir sollten es bei dieser Ankündigung lassen, bei Scelsi kann das nicht anders sein.
Ute Schalz-Laurenze
Heute um 19 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen das Konzert, an das sich ein Diskussionsforum um 21.30 anschließt.
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