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Zeltlager für die Menschen vom Hbf

■ Friedrichshainer Bürgermeister Mendiburu will Zeltdorf für Rumänen und Bulgaren errichten / Menschen schliefen bislang im Hauptbahnhof

Ost-Berlin. Auf der einen Seite die Spree, auf der anderen Reste der Mauer, dazwischen viel Unkraut und ein paar Autowracks - sehr einladend sieht das neue Quartier noch nicht aus, doch besser als das alte wird es wohl sein: Seit Tagen übernachten rund 200 rumänische Roma und Türken aus Bulgarien im und um den Hauptbahnhof auf Bahnsteigen und Parkdecks - sehr zum Unwillen der deutschen Anwohner. Die kommen nach den Worten ihres Bezirksbürgermeisters Helios Mendiburu (SPD) mit „amerikanischen Touristen sicher besser klar als mit den Rumänen“, obwohl man eigentlich alle menschenwürdig behandeln müsse. Ein Hotel kann Mendiburu den Neuankömmlingen nun nicht bieten, aber wenigstens ein Zeltlager an der Grenze zu Kreuzberg.

Mit den Resten ehemals sozialistischer Logistik soll den Bulgaren und Rumänen das neue Quartier gebaut werden: Aus den Beständen der aufgelösten Zivilverteidigung will Mendiburu Zelte, Klappbetten und eine Feldküche herbeischaffen, „bloß Decken haben wir keine“. Rund hundert Menschen sollen Platz finden, ausreichende Sanitäreinrichtungen muß es „selbstverständlich geben“. Auch einen Funkwagen will Bürgermeister Mendiburu bereitstellen, um bei möglichen Überfällen durch Rechtsradikale sofort die Volkspolizei zu informieren.

Auf deren Treue zur vielzitierten Sicherheitspartnerschaft hofft Mendiburu, denn als Schutz- und Wachtruppe wären die Volkspolizisten für das Zeltlager dringend vonnöten. Spätestens seit deren Räumungseinsatz am letzten Samstag auf dem Hauptbahnhof ist allerdings Skepsis angebracht. Da griffen Westberliner Skinheads, die den Hauptbahnhof offensichtlich zu ihrem Treffpunkt erkoren hatten, die Rumänen und Bulgaren an. Die wiederum schlugen zurück. Bei dem darauf folgenden Polizeieinsatz wurden die Bulgaren und Rumänen aus dem Bahnhof gejagt, ihr Gepäck hinterhergeworfen. Der Ostberliner Polizeipräsident Bachmann betonte inzwischen in einem Gespräch mit Vertretern der Ausländerbeauftragten, es habe „keine Weisung von oben“ zu einem solchen Vorgehen gegeben. Der Vorfall werde untersucht. Vorerst schieben nun die Antifas aus den besetzten Häusern Wache am Hauptbahnhof.

Im Büro der Ausländerbeauftragten beim Ministerrat befaßt sich jetzt eine Arbeitsgruppe mit Alternativen zur Unterbringung und zum Aufenthaltsrecht, die den Lebensumständen der Roma eher gerecht werden. „Manche fliehen, weil sie als Minderheit in ihrem Land nun wieder als Sündenbock für alles dienen“, sagt Abteilungsleiter Klaus Pritzkuleit, „andere wollen einen Antrag auf ständige Wohnsitznahme stellen, die meisten wollen nur eine Weile hierbleiben und dann weiterfahren.“ Ein Zeltlager hält er für die kurzfristig beste Lösung - „aber wirklich nur im Sommer“.

Denn wegen ihres eingefleischten Mißtrauens gegenüber Behörden jeder Art sind die Roma oft nicht willens, sich bei der Ostberliner Ausländerbehörde registrieren und dann per Bus in eines der Flüchtlingslager am Stadtrand transportieren zu lassen. „Ein bißchen Fingerspitzengefühl“ brauche man eben, sagt Mendiburu. Deshalb sucht er jetzt dringend Dolmetscher für Bulgarisch, Rumänisch und Romani.

Andrea Böhm

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