: Zeitlos idealistische Oper
■ Aus der Versenkung: Falk Richter inszeniert Hans Werner Henzes Wir erreichen den Fluss an der Staatsoper
Bei der Uraufführung 1976 in London machte das Werk Furore: Hans Werner Henzes Wir erreichen den Fluss. Bis Mitte der Achtziger Jahre wurde das spektakuläre Anti-Gewalt-Stück nach einem Text des englischen Dramatikers Edward Bond an mehreren Bühnen sehr erfolgreich gespielt, danach verschwand es etwas in der Versenkung. Jetzt endlich versucht sich mit der Hamburger Staatsoper wieder einmal eines der ersten Häuser der Republik an Henzes Opus.
Henze gehörte in den sechziger und siebziger Jahren wie Luigi Nono und der 1970 verstorbene Bernd Alois Zimmermann zur kleinen Gruppe derjenigen Komponis-ten, die über die Musik auch politische und gesellschaftliche Inhalte vermitteln wollten. Die Geschichte um einen unmenschlichen General, der zunächst mit aller Brutalität einen Aufstand niederschlägt und keine Opfer scheut, dann jedoch im Angesicht einer drohenden Erblindung zu seinem Menschsein zurückfindet und wieder lernt, mit anderen Menschen zu leiden, scheint zeitlos und aktueller denn je.
Bezieht man die hier etwas verkürzt dargestellte Geschichte auf die Situation in Mazedonien, hat sie ihre Brisanz, bezieht man sie auf die Geschehnisse in den USA, und damit auf das, was heute die so genannte Weltinnenpolitik ausmacht, so wirkt das Stück geradezu gespenstisch realitätsnah in der Gewaltdarstellung – andererseits in seinem idealistischen Glauben an das Gute im Menschen fast weltfremd oder gar utopisch.
Da Gewalt heute oft in einer Weise angewendet wird, dass die Gewalttätigen gar nicht mehr wahrnehmen, was die davon Betroffenen durchmachen müssen, und damit auch gar keine Katharsis mehr möglich ist, darum mag das Stück auf die heutige Situation bezogen für den einen oder anderen möglicherweise anachronistisch wirken. Jedoch: War dies in früheren Zeiten wirklich so viel anders? Darüber könnte man trefflich streiten. Und damit ist schon klar, dass die Aufführung dieses Werkes auch heute, fast 30 Jahre nach seiner Entstehung, wieder für inhaltliche Diskussionen sorgen wird.
Musikalisch wird dies weniger zu erwarten sein, ist doch Henzes Musiksprache durch eine polystilistische Faktur geprägt, die für verschiedenste Hörerwartungen Reize bietet und daher nicht gar zu schwer verdaulich sein dürfte. Da finden vergleichbar dem Wozzeck Alban Bergs eine Unmenge geschlossener musikalischer Formen ihren Platz. Das Spektrum reicht von der Gavotte oder dem Choral bis zum Spiritual oder Song. In Henzes vielschichtiger Komposition spiegeln sich viele Einzelaspekte der Musikgeschichte wider, ohne dass man dies ständig merkt. Man darf gespannt sein, wie Dirigent Ingo Metzmacher und der im Schauspiel bereits sehr erfolgreiche, jedoch im Opernfach bisher unerfahrene Falk Richter die Herausforderungen dieses Werkes meistern werden. Und wie das Publikum darauf reagieren wird.
Reinald Hanke
Premiere: Sonntag, 16 Uhr (Einführung: 15.30 Uhr); weitere Vorstellungen: Mittwoch, 28. + 30. 9., 2. + 12.10., jeweils 19.30 Uhr, Staatsoper
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