: „Zehn tolle Tage“
Immer noch traurige Zeiten, in denen Kultur durch Freibier ersetzt; gewonnene Freiheit mit Vergessen und Verdrängung gewürdigt wird.
Großes Volksfest zum Jahrestag der Maueröffnung auf dem Marx- Engels-Platz. Ein Fest, bei dem das eine Volk die Vergangenheit seiner Nation vergißt, vergessen will? Ein 280.000 Mark teures Fest, welches die Trauer um eine verlorengegangene Kultur, die Kultur des europäischen Judentums, übertönen will mit Disco, Kakao und Kuchen.
Jedes Vergessen hat jedoch seinen Preis und keinesfalls nur einen finanziellen. Das „Fest der Freude“ am 9.November ignoriert das Leid, den Schmerz vieler Menschen, die seit dem 9. November 1938 keinen Grund zum Feiern mehr hatten, und deren Martyrium dieses Datum ebenso besetzt hält.
Die neue, deutsche Gesellschaft verdrängt jedoch diese Trauer und Schmerzen — und damit die negative Last des 9. November.
Warum? Weil die deutsche Zivilisation es bisher noch nicht gelernt hat, mit Schmerz und Trauer zu leben; das heißt, eigene Trauer, eigenen Schmerz und damit Schwäche zu zeigen.
Weil sie es noch nicht schafft, die negativen Elemente deutscher Geschichte in einer lebensfördernden Weise aufzuarbeiten. Heutzutage erleben wir es wieder, daß problematische Punkte unserer Geschichte tabuisiert und ins Abseits gestellt werden sollen. Mit einer solchen Haltung werden jedoch die dunklen Flecken der deutschen Historie nie erhellt, und sie werden uns, so oft sich die äußeren Strukturen unserer Gesellschaft auch ändern, immer begleiten.
Es hilft uns also wenig, auszuziehen um neue Jubelfeiern zu suchen, wenn wir nicht fähig werden, gemeinsam zu leben und zu trauern. Berndt Hinzmann, Berlin
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