: Zapatistas: „Weiter in Richtung Hauptstadt!“
■ Mexikos Innenminister wird zurückgetreten / Geiseln freigelassen
Mexiko-Stadt (taz/AFP) – Gegen Mittag habe er den Regierungssitz verlassen und „sehr, sehr ernst“ dreingeschaut, berichten Reporter. Der derzeit meistgehaßte Politiker Mexikos, Patrocinio Gonzalez Garrido, hatte am Montag seinen Sessel als Innenminister räumen müssen. In einer Ansprache an die Nation sagte Präsident Salinas, mit der Kabinettsumbildung solle der Beachtung der Menschenrechte mehr Nachdruck verliehen und der Weg für eine Versöhnung in Chiapas bereitet werden. Als ehemaliger Gouverneur von Chiapas und Mann der „harten Linie“ galt Gonzalez als mitverantwortlich für die langjährige Misere und die gegenwärtige Eskalation.
Sein Nachfolger läßt auf einen Kurswechsel schließen: Neuer Innenminister ist der bisherige Generalbundesstaatsanwalt Jorge Capizo MacGregor, bis Frühjahr letzten Jahres Präsident der staatlichen Menschenrechtskommission.
Für Aufsehen sorgte am selben Tag noch eine andere Personalentscheidung des mexikanischen Staatschefs. Als Leiter einer „Kommission für Frieden und Versöhnung in Chiapas“ wird Manuel Camacho Solis ins Krisengebiet geschickt. Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt war einer der aussichtsreichsten Bewerber im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der regierenden Partei PRI gewesen, erlitt dabei eine demütigende Niederlage und wurde daraufhin ins Außenministerium abgestellt. Wie kein anderer aber gilt Camacho als Querdenker, als Krisen- und Verhandlungsexperte.
Und auch die Gegenseite, das Zapatistische Nationale Befreiungsheer (EZLN), ist offenbar um ein versöhnlicheres Bild in der Öffentlichkeit bemüht. In einem vom 6.Januar datierten, aber erst Montag abend an die Presse gelangten Schreiben bestreitet die „Presseabteilung der Generalkommandantur des EZLN“ jede Verantwortung für Angriffe auf Presse- und Rotkreuz-Fahrzeuge, die in den ersten Tagen der Auseinandersetzungen Empörung ausgelöst hatten. Außerdem entschuldigt sich Comandante Marcos höchstpersönlich für die „unrechtmäßige Beschlagnahme“ von 700 Pesos (etwa 400 Mark) bei kurzfristig von den Rebellen „verhafteten“ Reportern; das Geld werde zurückerstattet. Angesichts der „verleumderischen Berichterstattung verschiedener Medien“ stellt das EZLN klar, daß in seinen Reihen „kein einziger Ausländer“ sei, seine Kampftechniken traditionell mexikanisch. Die Führung der Guerilla sei „hundertprozentig indianisch“, beteiligt seien aber auch „nicht-indianische Mexikaner“ aus anderen Bundesstaaten.
In dem Schreiben werden fünf Bedingungen für eine mögliche Verständigung genannt: Anerkennung des EZLN als Kriegspartei; beidseitiger Waffenstillstand; Rückzug der Streitkräfte aus den Ortschaften; Stopp der Bombardierungen der ländlichen Bevölkerung; Bildung einer „Nationalen Verhandlungskommission“. Sollten diese Bedingungen von der Regierung nicht akzeptiert werden, „werden unsere Truppen weiter in Richtung Hauptstadt vordringen“.
Ebendort macht sich nervöse Stimmung breit. Während der Debatte um die anstehende Chiapas- Reise einer schon vor einer Woche angekündigten Allparteien-Delegation mußten die Abgeordneten am Montag das Parlamentsgebäude räumen – der Bombenalarm stellte sich allerdings, wie 40 weitere anonyme Drohungen bei öffentlichen Einrichtungen in den letzten Tagen, als falsch heraus. Privatunternehmen und Banken verstärken Einlaßkontrollen, die Nachfrage nach Alarm- und Sicherheitssystemen steigt sprunghaft an.
Unterdessen dauerten die Kämpfe zwischen EZLN und Regierungstruppen an. Hauptkampfgebiet war offenbar weiterhin die Gegend um San Cristóbal de las Casas, Ocosingo und Altamirano. In der Ortschaft Guadalupe Tepeyac nahe der Grenze zu Guatemala ließen die Guerilleros nach Angaben des staatlichen Fernsehens 85 Geiseln frei, die sich seit Beginn des Aufstandes in ihrer Gewalt befunden hatten. Der am 2.Januar verschleppte frühere Gouverneur von Chiapas, General Absalon Castellanos, wird dem Sender zufolge jedoch weiter festgehalten. Anne Huffschmid
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen