: Zankapfel „Postmoderne“
■ Sozialpädagogik-Professoren wollen Veranstaltungen eines Kollegen nicht
“Die Lehrveranstaltungen wurden vom Fachbereichsrat nicht genehmigt“. Dieser Satz steht lapidar unter den Vorlesungen und Seminaren von Professor Gerd Hellerich. Das heißt für seine StudentInnen an der Hochschule für Sozialpädagogik, daß sie im laufenden Semester bei ihm keine Scheine für ihre Leistungen bekommen können. „Herr Hellerich ist dem Wunsch des Fachbereichsrates nach Begründung dieser Lehrveranstaltungen nicht nachgekommen“, steht im Veranstaltungsverzeichnis weiter. 60 von 350 Studierenden hatten gegen diese Maßnahme in einem Brief an den Rektor der Hochschule, Ronald Mönch, protestiert. Trotzdem hatte der Fachbereichsrat (FBR) des Fachbereiches 8 am 19. Dezember mehrheitlich die umstrittene Entscheidung gefällt. Die Befürworter begründen das damit, daß Hellerichs Themen für Sozialpädagogen „nicht relevant“ seien: Sechs seiner acht Veranstaltungen führen den Begriff „Postmoderne“ im Titel.
Der Angegriffene weist fachliche Belehrungen zurück: „Ich lasse mich nicht zensieren“. Er wolle in seinen Veranstaltungen eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft in den Lehrplan einbeziehen. Den Beschluß des FBR hält er nach dem Bremer Hochschulgesetz für rechtswidrig, da das Gremium keinen Einfluß auf die Lehrinhalte haben dürfe.
Obwohl Hellerichs Lehrangebot bisher umstritten war, besuchten rund hundert Studierende in den ersten Tagen des neuen Semesters seine Veranstaltungen. Nietzsche, Heidegger und Marcuse: seine Themenvorschläge finden Anklang bei den angehenden SozialpädagogInnen. „Im Gegensatz zu andern Profs gibt's bei dem noch gute Diskussionen“, meint Andreas F. Sein Mitstudent Mark B. findet eine Vielfalt an Themen im Studium wichtig: „Ich will nicht zum sozialen Notklempner ausgebildet werden“. Die StudentInnen vermuten hinter dem Streit um Hellerichs Themen private Fehden zwischen den HochschullehrerInnen.
Der Druck der Studis mag der Grund dafür sein, daß der zum Teil neubesetzte Fachbereichsrat gestern überraschend seinen Beschluß revidierte und Hellerichs Veranstaltungen doch noch genehmigte.
„Eine blöde Situation“, fand Peter Kordes, einer der beiden studentischen Vertreter im FBR, der am 19. Dezember noch gegen Hellerich gestimmt und sich damit den Groll seiner MitstudentInnen zugezogen hatte. Er ärgert sich darüber, daß die Lehrinhalte im Fachbereich so wenig aufeinander abgestimmt werden: „Die Profs machen was sie wollen und kümmern sich nicht um unsere Beschlüsse“. Einige von ihnen böten jahrelang immer die gleichen Themen an, häufig paßten sie dann nicht einmal in die Diplomprüfungsordnung.
Wolfgang Reichel, neuer Leiter des FBR, wollte gestern eine „friedliche“ Lösung erreichen. Friedlich ging es auf der Sitzung dann allerdings weniger zu. Professor Greser warf seinem nicht anwesenden Kollegen Hellerich vor, er wolle in seinem Lehrangebot „brutal“ das behandeln, was eigentlich Thema eines Buches hatte werden sollen. Hellerich hatte für dieses Buchprojekt über „Postmoderne“ eine Freistellung beantragt, der FBR hatte aber abgelehnt. Als StudentInnen Greser vorhielten, auch er bevorzuge in seinen Veranstaltungen Themen, die seiner Forschungsarbeit entsprächen, geriet er in Wut. Er beantragte, den StudentInnen das Rederecht zu entziehen und verließ erbost die Sitzung. Andere ProfessorInnen verteidigten Hellerich. Inge Bruck forderte, da alle KollegInnen ihre Themen wenig auf die Diplomprüfungsordnung hin ausrichteten, solle nicht einer von ihnen willkürlich angegriffen werden.
Hellerich denkt indessen über Veränderungen im Studiengang nach. Politische Inhalte sollen stärker einfließen. Gerrit Busch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen