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Zähes Ringen um Fehlbildungsregister

Nur jede zehnte Schädigung von Neugeborenen wird in Deutschland registriert  ■ Von Manfred Kriener

Eine der hochentwickeltsten Industrienationen der Welt hat bis heute keinen Überblick über die Gesundheit ihrer Kinder. Nur zehn Prozent aller Fehlbildungen bei Neugeborenen werden gegenwärtig in der Bundesrepublik den Gesundheitsbehörden gemeldet. Die Einrichtung eines Fehlbildungsregisters, die für Abhilfe sorgen soll, kommt – wenn überhaupt – nur äußerst zäh voran. Ein Experten- Treffen Ende Mai in Berlin sollte den schleppenden Prozeß auf Trab bringen. Doch die erhoffte Initialzündung blieb aus, die Schnecke bestimmt weiterhin das Tempo.

Dabei wird die Erfassung von den meisten Ärzten und Wissenschaftlern als dringend notwendig angesehen. Doch die Kosten für diesen Arm der Gesundheitsvorsorge wurden lange unterschätzt. Heute, in Zeiten leerer Kassen, ist das fehlende Geld mehr denn je die große Bremse. Noch immer unbeantwortet bleiben aber auch zentrale Fragen: Wie soll ein solches Fehlbildungsregister überhaupt aussehen? Wer untersucht die Kinder? Ist ein Mißbrauch ausgeschlossen?

Bisher wird so gut wie überhaupt nicht gemeldet. Ärzte, Hebammen und Krankenhäuser kommen der gesetzlich vorgeschriebenen Meldepflicht nur im Ausnahmefall nach. Sanktionen gibt es nicht, die ärztliche Ignoranz wird – ähnlich wie bei anderen meldepflichtigen Krankheiten – klaglos hingenommen. Von 540 Fehlbildungen bei Neugeborenen in Berlin, die im Jahre 1994 außerhalb der offiziellen Registrierung festgestellt wurden, sind nur 50 Fälle dem Statistischen Bundesamt angezeigt worden. Über die Gründe darf spekuliert werden: Faulheit der Ärzte, fehlendes Problembewußtsein oder die in Deutschland weitverbreitete Scheu vor allen Arten von Datenerfassungen? Konrad Tietze, Leiter des Fachgebiets „Gesundheit von Schwangeren und Säuglingen“ am Berliner Robert-Koch-Institut, wies auf die „bösen Erinnerungen an die Registrierungen der Nazizeit hin“, die es in Deutschland schwermachten, die Erfassung von Fehlbildungen durchzusetzen. Andererseits zeigen die Schreckensmeldungen über ein angeblich gehäuftes Auftreten von Kindern ohne Hände an der Nordsee, über Fehlbildungen durch Holzschutzmittel oder die nach Tschernobyl in Berlin festgestellte Zunahme von Säuglingen mit einem Down-Syndrom, wie wichtig eine seriöse Beobachtung wäre. Der Bielefelder Arzt Helmut Brand ist sicher, daß die Akzeptanz für ein Register vorhanden ist, wenn „wir den Leuten zeigen, daß damit sinnvolle Sachen gemacht werden“.

Ein Anfang wurde vor sechs Jahren in Rheinland-Pfalz versucht. In Mainz werden in den drei Entbindungsstationen seit 1990 die Fehlbildungen modellhaft registriert. Etwa 400 verschiedene Fehlbildungen werden in das Register aufgenommen, dazu 60 kleine, sogenannte morphologische Auffälligkeiten wie zum Beispiel Auswachsungen am Ohrläppchen oder ein gespaltenes Rachenzäpfchen. Auch Aborte und Totgeburten werden erfaßt, die Krankengeschichte von Eltern und Geschwistern erfragt, die Medikamenteneinnahme und der Schwangerschaftsverlauf dokumentiert.

Diese Art der Intensiverfassung kann schon aus Kostengründen nicht auf ganz Deutschland ausgedehnt werden. Rund 300.000 Mark im Jahr kostet eine solche „Monitoringstation“. Nach dem Wunsch der in Berlin versammelten Experten sollen in der Bundesrepublik fünf bis zehn ähnliche Modellstationen entstehen, vorwiegend in Großstädten, aber auch in einer umweltpolitisch besonders belasteten Region wie etwa im Braunkohlegürtel Ostdeutschlands. Ziel ist die Erfassung von mindestens zehn Prozent aller Geburten nach dem „Mainzer Modell“. Diese Inseln intensiver Erfassung sollen dann mit einer weniger intensiven, aber flächendeckenden regionalen Erfassung gekoppelt werden. In Magdeburg wurde ein solches Modell schon zu DDR-Zeiten erprobt: Intensiverfassung in der Stadt, extensiv in den Landkreisen Sachsen-Anhalts.

Für die regionale Erfassung könnten die Geburtsbögen genutzt werden, die nach jeder Entbindung von den Krankenhäusern anonym ausgestellt und an die Kassenärztliche Vereinigung geschickt werden. In diese Bögen will man die wichtigsten zehn bis zwanzig Mißbildungen aufnehmen. Wichtigster Vorteil eines solchen Systems: Bereits vorhandene, gut akzeptierte Dokumentationsverfahren könnten genutzt werden. Allerdings ist der Erkenntnisgewinn begrenzt. Grundsätzliche Ablehnung gegen ein Fehlbildungsregister signalisierte den versammelten Ärzten Klaus Dickneite vom Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte. Dickneite hält die bestehenden Regelungen für ausreichend und wehrt sich gegen die Schaffung eines „gläsernen behinderten Menschen“. Der Mißbrauch des Registers sei nie auszuschließen. Zudem zeige sich, daß bei einem Verdacht von mißbildenden Noxen das Interesse des Staates an echter Aufklärung begrenzt sei. „Es fehlt häufig am politischen Willen, notwendige Konsequenzen zu ziehen.“

An dieser Stelle deckt sich die Kritik des Behindertenverbandes mit der Einschätzung vieler Ärzte. Sie sehen das mangelnde Engagement der zuständigen Bundesländer in Sachen Fehlbildungsregister auch darin begründet, daß es manche gar nicht so genau wissen wollen, wie gesund ihre Kinder tatsächlich sind. Mit dem Argument der „mangelnden Datenlage“ ließen sich viele lästige Untersuchungen abblocken.

Als Ergebnis des Berliner Treffens soll ein Positionspapier vorgelegt werden, in dem sich Geburtsmediziner und Epidemiologen für das oben skizzierte Kombinationsmodell aussprechen. Die Schnecke kriecht weiter.

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