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ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Treu wie eine Fledermaus

Du bist anmutig wie ein Vogel, mein Herz befindet sich auf dem Flügel. Du bist sanft wie eine Taube. Wenn ein Kolibri singen könnte. Verrückt nach dir.“ Nein, falsch geraten! Es handelt sich keineswegs um einen Auszug aus dem ersten Kapitel des Ratgebers „Angewandte Liebeslyrik für gescheiterte Vulgärpoeten“ von Katarina Wiebel-Aberwitz, sondern um einen Songtext vom neuen Rolling Stones-Opus „Steel Wheels“. „Terrifying“ heißt das wortgewaltige Stück. In der Tat. „Ich bin treu wie ein Schwan, ich bin dunkler als eine Fledermaus, ich bin freundlich wie ein Bär und härter als eine Ratte...„ - nun, lassen wir das. Schließlich wurde Mick Jagger nicht dazu geboren, hochwertige Poesie in die Welt zu setzen, sondern dazu, seine Stimmbänder nutzbringend in Schwingungen zu versetzen. „Ich denke nicht, daß die Texte so wichtig sind“, sagte er einmal und erzählte, wie er in den Anfangszeiten der Stones die Worte oft nur nuschelte, wenn sie ihm gar zu peinlich waren.

Von Nuscheln kann auf der neuen Platte keine Rede sein, und peinlich ist den alten Meistern des Rhythm 'n Blues ohnehin längst nichts mehr. Sie stehen hoch über allem Irdischen, bewährte Insassen der Ruhmeshalle des Rock'n'Roll, die nur mit den Fingern zu schnippen brauchen, und schon erscheinen 20.000 Leute, um ihnen dabei zuzuhören. Ihre Musik verkauft sich fast von selbst, im Grunde würde es reichen, wenn sie alle paar Jahre dieselbe Platte auf den Markt brächten.

Also bringen sie alle paar Jahre dieselbe Platte auf den Markt. Drei Sommer gingen diesmal ins Land, bis es den fünf zänkischen älteren Herren nach „Dirty Work“ gelang, ihre gegenseitigen Aversionen zu überwinden und wieder gemeinsam ein Studio zu betreten. Herausgekommen ist eine US-Tournee, die am 31.August in Philadelphia begann, und eben „Steel Wheels“.

Wie immer ist die Platte voll solider Rockmusik, mal hart wie eine Ratte, mal sanft wie ein freundlicher Kolibri, Rolling Stones-Musik der besten Sorte, energiegeladen, funkensprühend und berechenbar. Wie immer befindet sich das stärkste Stück am Anfang, damit auch jeder, der nur mal kurz reinhört, zum Geldbeutel greift: „Sad Sad Sad“, die perfekte Reinkarnation unzähliger Ahnen, deren Ausforschung im Gestrüpp des 25 Jahre umfassenden Gesamtwerkes der Gruppe von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Musiker haben nichts verlernt und nichts dazugelernt.

Charlie Watts ist immer noch der blasse Trommler, den keine Blankeneser Dixieland-Truppe an ihr Schlagzeug lassen würde, Bill Wyman träumt unverdrossen seinen Bass an, Ron Wood verteilt beharrlich kleine tönende Aper?us im Klanggemenge und hat ansonsten das Maul zu halten. Keith Richards hingegen kann inzwischen fast singen, schmettert Partner Mick wie gehabt seine unvergleichlichen Gitarrenriffs respektlos zwischen die Kadenzen und sieht mittlerweile so furchterregend aus, daß ihm selbst sein Sohn nach acht nicht mehr die Tür öffnet. Jagger röhrt, quetscht, winselt und fistelt wie in seinen besten Zeiten, und hat außerdem die Texte beigesteuert: „Ich bin schlau wie ein Fuchs, du bist schneller als ein Pferd, ich bin stärker als ein Ochse...“ Okay, okay, ich hör ja schon auf.

Matti Lieske

Rolling Stones, Steel Wheels, CBS

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