american pie : Wurf aus der Retorte
Läutet ein Japaner mittels neuartiger Technik einen Wandel im uramerikanischen Sport Baseball ein?
In Florida und Arizona beginnt der Sommer schon im Februar. Dann kommen die Klubs der Major League Baseball (MLB), um sich auf die neue Saison vorzubereiten. Der Ablauf ist immer derselbe: Morgens wärmt man sich auf und anschließend wird Fangen gespielt, ein paarmal gegen den Ball gehauen, bevor zur Mittagszeit ein lockeres Spielchen stattfindet. So ist es seit bald 100 Jahren, so wird es wohl immer sein. Profibaseball hat lange Tradition und pflegt sie mit Akribie. Moderne Trainingsmethoden und wissenschaftliche Erkenntnisse halten nur schleppend Einzug. Umso mehr Aufregung löst daher Daisuke Matsuzaka aus. Der Pitcher aus Japan gilt als Wunderwerfer. Alle Baseballfans fragen sich: Wirft er den Gyroball? Der Gyroball ist, so der Sportsender ESPN, „das Loch-Ness-Ungeheuer des Sports“.
Seit gut zehn Jahren wird spekuliert, ob es den sagenumwobenen Wurf überhaupt gibt. Gerüchten zufolge soll er eine Flugbahn besitzen, die allen Gesetzen der Physik spottet. Entworfen worden sein soll er in einem japanischen Labor, mehr als 20 Pitcher der Nippon-Profiliga sollen ihn einsetzen. Der Beste unter ihnen: Matsuzaka. Die Dienste des 26-Jährigen waren den Boston Red Sox insgesamt 103 Millionen Dollar für sechs Jahre wert. Knapp die Hälfte davon kostete allein die Erlaubnis seines alten Klubs Seibu Lions, mit ihm verhandeln zu dürfen.
Seit Matsuzuka in Florida angekommen ist, hat sich das sonst eher gemütliche Spring Training in einen Zirkus verwandelt. Jeder Trainingswurf wird von hysterischem Kameraklicken begleitet. In Japan wird mit Argusaugen verfolgt, wie sich der Nationalheld in der Fremde schlägt. In Boston hofft man, endlich den Messias gefunden zu haben, der das Team zu Siegen gegen die verhassten New York Yankees führt. Die Fans sind gespannt, ob Matsuzakas sagenhafter Gyroball existiert. Auf YouTube sind Schulkinder zu sehen, die versuchen, ihn zu werfen.
Die New York Times fand gar einen Experten, der glaubt, der Gyroball sei nur ein „im Baseball nutzloser“ abgewandelter Cricketwurf. Matsuzaka macht sich seinen Spaß aus den Spekulationen. Mal behauptet er, den Gyroball nie geworfen zu haben. Mal, dass er daran arbeite. Jetzt hieß es: „Sollte ich die Chance dazu haben, werde ich diesen Ball werfen.“ Es wäre eine kleine Revolution im so traditionsbewussten Baseball. THOMAS WINKLER