: Wurden „La-Belle“-Akten manipuliert?
■ Merkwürdigkeiten beim Zugang der West-Berliner Kripo zu den „La-Belle“-Akten
Bereits Mitte März hatte der West- Berliner Staatsschutz den entscheidenden Hinweis vom Wiesbadener Bundeskriminalamt erhalten. Dort hatte ein Überläufer über die Verquickungen der Stasi in den Bombenanschlag, der am 5. 4. 1986 in der Berliner Discothek „La Belle“ drei Menschen das Leben kostete, berichtet. Der Mann wußte präzise zu benennen, wo und welche Akten zur Aufklärung des Attentates im Hauptquartier der Stasi zu finden seien. Umgehend sprachen die West-Berliner Behörden in Diestels Ministerium vor, um Einsicht in die Stasi-Akten zu erhalten. Nach wiederholtem Drängen war Ende Mai dann erstmals etwas über den Inhalt der Aufzeichnungen zu erfahren. Die Genehmigung, in die umfangreichen Aktenberge einzusehen, wurde aber an schier unglaubliche Bedingungen geknüpft. Notizen wurden nicht erlaubt, Kopien durften keine gezogen werden — überdies durften nur Ost-Berliner Polizisten an die Verschlußsachen ran. Aus dem Stasi-Gebäude durften die Akten nicht entfernt werden, und wenn die West-Beamten kamen, waren sie gerade nicht greifbar oder gerade weggesperrt. Diestel erklärte wiederholt, er könne die Unterlagen wegen Datenschutz nicht hergeben.
Mittlerweile sind die 42 Kisten „La-Belle“-Akten freigegeben, aber an ihrer Vollständigkeit wird von West-Berliner Polizeiexperten gezweifelt. Siegel wurden gebrochen, statt der Originale sind Kopien in der Akte, und der Verdacht besteht, daß ganze Seiten herausgenommen wurden. Anhaltspunkte gibt es dafür, daß die Unterlagen schon vor dem Mai von Stasi-Leuten gesichtet wurden.
Der heutige Leiter des Zentralen Kriminalamtes in der DDR (ZKA), Roland Wittig, wußte offenbar auch schon frühzeitig über die umfangreichen Extremismusbestände. In einem Brief an Diestel regte das frühere Mitglied der SED-Kreisleitung im Innenministerium im April an, „Sachmaterialien zu extremistischen Gruppierungen mit Relevanz für das Gebiet der DDR“ aus der Stasi-Zentrale in das ZKA zu übernehmen. Die Liste der erbetenen Aktenbestände — detailliert nach Abteilungen und Referaten in den früheren Hauptabteilungen XX und XXII aufgelistet — liest sich wie das Who is Who des internationalen Terrorismus. Unter anderem wurden die Akten zu schiitischen und sunnitischen Extremismusgruppen angefordert. Soviel Sachverstand über Aufbau und Organisation der Stasi läßt Polizeiexperten in West- Berlin erschrecken. Innensenatssprecher Werner Thronicker ist überzeugt, „daß da alte Seilschaften der SED und der Stasi schalten und walten“. Diestel sei dem in keiner Weise entgegen getreten. Wolfgang Gast
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