: Wundschmerz und Lachanfall
■ Schauplatz des Surrealen: Lateinamerika-Filmtage mit einem Schwerpunkt auf Argentinien
Das junge argentinische Kino ist eine launische Angelegenheit. Mal weint es unter der Last der Melancholie, mal bricht es unvermittelt in ekstatisch grelles Lachen aus.
Zum sechsten Mal veranstaltet das 3001 ein Fest für den lateinamerikanischen Film, und das genau zur rechten Zeit, da die Programmvielfalt der Lichtspielhäuser im Einerlei der neuesten Disney-Formation verstummt. Zwölf Spiel- und Dokumentarfilme sind bis zum 18. Dezember auf dem Programm, darunter zahlreiche Erstaufführungen wie die kubanische Polit-Parabel Der Elefant und das Fahrrad von Juan Carlos Tabio, Co-Regisseur bei Tomás G. Aleas letztjährigem Überraschungserfolg Erdbeer und Schokolade.
Im Mittelpunkt aber stehen jüngere Produktionen aus Argentinien, die im Schatten des kommerzorientierten Mainstreams (und der permanenten Wirtschaftskrise zum Trotz) längst eigene Erzählformen gefunden haben. So ließ sich Eliseo Subiela, dessen Poeten-Melodram Die dunkle Seite des Herzens vor einem Jahr auf den Lateinamerikanischen Filmtagen lief, in seinem Regiedebüt von surrealen Konstellationen aus der phantastischen Literatur inspirieren, um seine wundersame, lyrische Geschichte über den Mann, der nach Südosten blickt zu erzählen.
Der taucht eines Tages in der Psychiatrie auf, direkt von einem anderen Planeten, wie er seinem Arzt beteuert. Ist er ein Simulant oder ein Geisteskranker? In jedem Fall ist er ein Genie, das den Psychiater an die Grenzen seines Wissens treibt und wie ein Christus der Moderne mit seinen kinetischen Fähigkeiten den Hungernden zu essen gibt. Erst am Ende entdeckt der Arzt ein zerrissenes Foto von seinem Patienten, das etwas von einem Wundschmerz ahnen läßt, von einem seelischen Verlust, der niemals heilt. Doch die Wahrheit bleibt den Zuschauern verschlossen.
Ebenfalls zu den Highlights gehört die letzte Regiearbeit von Maria Luisa Bemberg, einer der erfolgreichsten FilmemacherInnen Argentiniens (sie starb im Frühjahr 1995 im Alter von 73 Jahren). Darüber spricht man nicht erzählt von der sonderbaren Liebe zwischen einem alternden Lebemann (Marcello Mastroianni) und einer jungen, kleinwüchsigen Frau (Luisina Brando). Der Film kreist auch um die unheilvolle Schweigsamkeit einer Mutter, die die Geburt ihrer Tochter für eine Strafe Gottes hält.
Auch hier gibt es keinen eindeutigen Ausgang, auch hier wird die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit zum Schauplatz surrealer Sequenzen. Silke Kirsch Cortázar: heute, 20 Uhr / Letzte Bilder des Schiffbruchs: 22.30 Uhr / Jäger der Utopien: Fr, 6. Dez., 20 Uhr / Darüber spricht man nicht: Sa, 7. Dez., 20 Uhr / Das Gesetz der Grenze: So, 8. Dez., 20 Uhr / Der Mann, der nach Südosten blickt: Mo, 9. Dez., 22.30 Uhr / Gregorio und Juliana: Di, 10. Dez., 22.30 Uhr / Warnes Aparte: Mi, 11. Dez., 20 Uhr; alle Filme 3001
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen