: Wulff will Niedersachsen als Endlagerland
Der niedersächsische Ministerpräsident wirft der Bundesregierung vor, die Entscheidung über atomare Endlager bewusst zu verzögern. Für ihn gilt: Es gibt keine Bedenken gegen die Endlagerprojekte Schacht Konrad und Gorleben
taz: Herr Ministerpräsident, warum soll Niedersachsen unter ihrer Führung unbedingt als das deutsche Atommüllland Furore machen?
Christian Wulff: Schon unter der von Helmut Schmidt geführten Bundesregierung sind Schacht Konrad und Gorleben als deutschen Endlagerstandorte durchgesetzt worden, Schacht Konrad für schwach- und mittelaktive Abfälle und Gorleben für Wärme entwickelnde Abfälle. Die jetzige rot-grüne Bundesregierung hat zudem den Planfeststellungsbeschluss für Schacht Konrad erlassen. Auch der grüne Bundesumweltminister hat dadurch bestätigt: Es gibt keine Bedenken gegen eine Nutzung der Schachtanlage als Endlager.
Die Bundesregierung hält das Endlager Konrad aber nicht für sinnvoll. Sie will ein einziges Endlager für alle Arten radioaktiver Abfälle und will die Suche nach dem dafür geeigneten Standort neu eröffnen.
Die Bundesregierung ist herzlich eingeladen und aufgefordert, zu suchen. Keiner hindert sie daran. Sie hat die Verantwortung und die Zuständigkeit ,und sie kann in ganz Deutschland suchen. Nur sie tut es nicht. Die Ein-Endlager-Theorie hat den Haken, dass im genehmigten Schacht Konrad keine Wärme entwickelnden Abfälle gelagert werden können und dass die Bundesregierung den für das eine Endlager möglicherweise geeigneten Standort Gorleben nicht weiter untersucht. Stattdessen versucht sie Zeit zu gewinnen.
Die Regierung möchte Kriterien für ein Endlager festlegen und dann mit der Suche beginnen. Für Gorleben galt ein Mehrbarrierenkonzept als Eignungskriterium. Das wurde aufgegeben, als man feststellte, dass die zweite geologische Barriere über dem Salzstock – das Deckgebirge – nicht durchgängig vorhanden war.
Anstatt neue Eignungskriterien festzulegen, hat die Regierung den Energieversorgern im Energiekonsens schriftlich zugesichert, dass es bisher keine Bedenken gegen eine Eignung von Gorleben als Endlagerstandort gibt. Das ist Fakt.
Deswegen sind Sie dafür, dass Gorleben zu Ende erkundet wird?
Ja. Nach meiner Überzeugung könnte die Suche nach einem anderen Standort erst dann beginnen, wenn sich Gorleben als ungeeignet erweist. Solange sogar Rot-Grün die Eignung des Salzstockes unterstellt, wird niemand in Deutschland eine Probebohrung an einem anderen Standort niederbringen. Falls der Bundesumweltminister irgendwo mit einer Bohrung beginnt, bin ich bereit, meinen Standpunkt zu überdenken. Bislang setzt die Regierung jedoch ausschließlich auf Zeitgewinn.
Warum hat Niedersachsen an den von der Bundesregierung angebotenen Gesprächen über eine neue Standortsuche nicht teilgenommen?
Den Gesprächen haben sich doch fast alle Eingeladenen verweigert, weil es um die Verlegung von Verantwortlichkeiten ging. Man sollte die Verantwortlichkeiten nicht verwischen. Die Bundesregierung hat die Verantwortung für die Entsorgung atomarer Abfälle und kann sie nicht an andere delegieren.
Die Erkundung des Gorlebener Salzstocks wurde von Atomkraftgegnern stets als heimlicher Endlagerbau kritisiert. Schließlich wird am Ende der Erkundung das Endlagerbergwerk weitgehend fertig sein.
Die Bundesregierung hat es in Hand, Erkundung Erkundung sein zu lassen. Ich meine schon, dass man Erkundung vom Ausbau des Endlagers trennen kann.
Soll der Salzstock tatsächlich Endlager werden, wenn er zu Ende erkundet ist?
Dann haben wir auf jeden Fall eine verlässliche Grundlage, um die Entscheidung über eine Inbetriebnahme zu treffen. Wenn der Gorlebener Salzstock von allen als geeignet angesehen wird, spricht eine Menge dafür, die Endlagerung dort zuzulassen.
Sie streben bei einer Endlagerung in Niedersachsen eine finanzielle Kompensation für die Belastungen der betroffenen Region an. Doch wer zahlt Ihnen noch Geld, wenn Sie vorab sagen: „Wir nehmen den Müll“?
Vor einer Inbetriebnahme von Schacht Konrad ist der Ausgang des Rechtsstreits um die Genehmigung abzuwarten. Auch die wirtschaftlichen Effekte werden diskutiert, wenn die Gerichtsentscheidungen vorliegen. Dann wird es darum gehen, wo die Steuern hinfließen, was die Nutzer für die Einlagerung zu zahlen haben. INTERVIEW: JÜRGEN VOGES