: Wulff muss vor Gericht
PROZESS Landgericht Hannover lässt Anklage gegen Exbundespräsident zu. Vorwurf von Bestechlichkeit auf Vorteilsnahme reduziert
VON CHRISTIAN RATH
FREIBURG taz | Exbundespräsident Christian Wulff muss sich vor Gericht verantworten. Das Landgericht Hannover hat jetzt die Anklage gegen Wulff zugelassen – allerdings nur in abgeschwächter Form. Der Prozess soll am 1. November in Hannover beginnen.
Mit der Zulassung der Anklage erklärt das Landgericht, dass es eine Verurteilung von Wulff wegen Vorteilsannahme nach derzeitigem Stand für wahrscheinlich hält. Ein Freispruch von Wulff ist daher eher unwahrscheinlich. Die Freispruchquote liegt in Deutschland deutlich unter 5 Prozent, in Niedersachsen lag sie im Jahr 2011 sogar bei nur 0,4 Prozent.
Vorgeworfen wird Wulff ein Vorfall aus seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident. Der Filmproduzent David Groenewold soll Wulff und seine Frau Bettina 2008 aufs Münchener Oktoberfest eingeladen haben. Groenewold hat einen Teil der Hotelkosten übernommen, den Babysitter für Wulffs Sohn bezahlt und die Verzehrbons für das Zelt eines Feinkostanbieters besorgt. Gesamtwert: rund 760 Euro. Am nächsten Tag schrieb Groenewold an Wulff und bat ihn um Fürsprache für einen Film über den ehemaligen Siemens-Manager John Rabe. Tatsächlich schrieb Wulff Wochen später einen Unterstützungsbrief an Siemens-Chef Peter Löscher.
Die Staatsanwaltschaft hatte darin einen Akt von Bestechung und Bestechlichkeit gesehen. In ihrer Anklage vom April hieß es, Wulff soll einen Vorteil dafür erhalten haben, dass er sich für Groenewolds Film einsetzt. Dabei muss Wulff sich nicht rechtswidrig verhalten haben, es genügt, dass er Ermessensspielräume hatte und sich von dem erhaltenen Vorteil beeinflussen ließ.
Das Landgericht sah dies nun leicht anders. In seinem 13-seitigen Beschluss ließ es die Anklage nur wegen Vorteilsannahme zu. Das heißt, die Richter konnten keine direkte Verbindung zwischen Oktoberfest-Einladung und Einsatz für den Film erkennen. Bei Vorteilsannahme genügt es, wenn sich der Empfänger allgemein für seine Amtstätigkeit Vorteile gewähren lässt. Weder muss Wulff eine rechtswidrige Handlung noch eine beeinflusste Ermessenshandlung nachgewiesen werden.
Der Filmproduzent David Groenewold wird dementsprechend auch nicht wegen Bestechung, sondern wegen Vorteilsgewährung vor Gericht stehen. Ihm und Wulff drohen nun Strafen bis zu drei Jahren Haft. Groenewold wird noch eine falsche eidesstattliche Versicherung vorgeworfen.
Beide können aber immer noch eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage beantragen. Ein entsprechendes Angebot der Staatsanwaltschaft hatten die beiden im April abgelehnt. Wulff sollte 20.000 Euro zahlen, Groenewold 30.000 Euro. Sie aber wollten vor Gericht um einen Freispruch kämpfen. Nach Zulassung der Anklage könnten sie es sich nun aber anders überlegen. Wulffs Anwalt kritisierte, dass Medien schon seit Tagen über die Zulassung der Anklage berichten.
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