: Wüstenfrauen, verhüllte Männer
Zum ersten Mal war es in Deutschland zu bestaunen: das Touareg-Ensemble Tartit aus dem Norden Malis mit seinen „Stimmen aus der Wüste“ auf Kampnagel ■ Von Stefanie Heim
Raschelnd raffen sie immer wieder die Bahnen des blau-grauen Taftes um sich herum, der am Rand die gleiche dunkelbraune Farbe wie ihre tierhautbezogenen Trommeln trägt. Weißsilbrige Perlen und Plättchen schimmern im enganliegend geflochtenen Haar. Aufwendiger Silberschmuck dekoriert die Körperteile, die beim minimalistischen Tanz kunstvoll bewegt werden: Brust und Hände. Stolz und selbstbewußt agieren die fünf Touareg-Frauen des Ensemble Tartit auf der Kampnagel-Bühne.
Nach jeder Darbietung wird sich in Ruhe und mit erneuter Stoffdrapierung am Boden umgesetzt, unter dem verschmitzten Hinweis, sie seien schließlich Nomaden. Die Mikrofone werden zurechtgebogen, und ist es den Damen nicht laut genug, wird ungnädig draufgehauen. Mit empörter Geste Richtung Tontechnik. Überhaupt sind sie nicht einverstanden mit dem Verlauf des Abends. Sie wollen sehen, wer ihnen zuschaut – das Publikum wird nun beleuchtet – und fordern unermüdlich zum Mitklatschen auf. Die Touareg-Frauen fordern Reaktionen, wollen zumindest eine non-verbale Kommunikation. Eine distanzierte Voyeurs- und Konsumhaltung verärgert sie.
So holen sie gnadenlos das weltkulturbeflissene Hammoniale-Publikum auf die Bühne. Was angesichts der trippelnden Tanzschritte für schadenfrohe Erheiterung sorgt. Eine beleibte Hobbytänzerin, die unaufgefordert die Bühne stürmt, entledigt sich ihrer Schuhe, um mitzutrippeln. Dieser Anblick erinnert dann doch an Selbsterfahrungsworkshops à la „Befreie dich im Tanz der WüstennomadInnen“. Dezent im Hintergrund bleiben die drei eher schmächtig wirkenden Männer. Den Kopf bis auf einen Sehschlitz mit braunem Tuch verhüllt, spielen sie die dreisaitige Laute, die „Tehardant“. Sie liefert die Rhythmen und imitiert den Pferdegalopp. Musik ist ein wichtiges Mittel zum Erhalt ihrer Kultur und der zerrissenen Geschichte ihres Volkes. Die Touaregs lebten als Nomandenvolk Nordafrikas seit Jahrhunderten in der Sahara und der Sahelzone.
Erst durch die Eroberung des Landes durch die Araber, dann durch die willkürliche Grenzziehung der Nachkolonialzeit wurden sie ihrer traditionellen Lebensweise beraubt. Heute leben sie in Flüchtlingslagern verschiedener Staaten. Die Mitglieder des Ensemble Tartit lernten sich als Flüchtlinge vor der malinesischen Armee in einem mauretanischen Flüchtlingslager kennen. Inzwischen leben sie an unterschiedlichen Orten, und von den ursprünglich 20 MusikerInnen finden sich nur noch einige, um auf Tour zu gehen. Das Wort „Tartit“ bedeutet Vereinigung, soll die Verbindung der Touareg beschwören. Anlaß für ihre musikalischen Erzählungen können Hochzeiten, Kindes-Zeremonien oder sogar die Ehrung einer gerade geschiedenen Frau sein. Dabei wird in monotoner Reihung der Vorgesang vom Chor wiederholt. Diverse Schnalzlaute, der kehlige Obertongesang und antreibende Zwischenrufe machen daraus eine sehr lebendige Angelegenheit. Zum Tanz setzen sich Mann und Frau im Schneidersitz gegenüber. Dabei fließen Arme und Hände geschmeidigen Schlangenbewegungen gleich. Die Frau kann anzüglich lächeln, während sie das Brustbein in ungeahnte Positionen verschiebt.
„Oh, kleine Zayna! Heirate! Ich will dir eine Mitgift und acht Kamele als ein extra Geschenk anbieten. Oh, meine Seele! Du bist heller als die weiße Teekanne und die Gläser und Plättchen, die aus Kostbarkeiten gemacht sind...“ Wie schade, daß wir dergestaltige Texte nicht verstehen können. So blieb das französische Stichwort zu den Liedern der einzige Hinweis darauf, um was getrauert oder gejuchzt wurde: die Liebe, das Festival Voix de Femmes und alle Frauen, die sich gerade in Hamburg befinden.
Nach den bewältigten Akustikproblemen strahlen die Touareg-Frauen immer häufiger, diskutieren in ihrer Sprache und lassen sich bei der melodramatischen Anpreisung einer Mutter zum Lachkrampf hinreißen. Richtig ausgelassen tanzt das Ensemble Tartit abschließend mit den überreichten Blumensträußen in europäischen Badelatschen seinen Weg hinaus – zurück in die Wüste.
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