: Wortgewaltiger Irrtum in den Tod
■ Yoshi Oida inszeniert „Das Mißverständnis“ mit schlichtem Ernst am Thalia Theater
Er hätte es sich so einfach machen können, der Petar Nikolaus: Zur Tür hereinkommen, „Hallo Mutter“ sagen und: „Grüß dich, kleine Schwester, ich war lange weg, aber jetzt bin ich wieder da, und meine Brieftasche platzt vor Geld.“ Dann hätte es ein Fest geben können, und danach wären alle zusammen glücklich geworden. Nur für eine Zeitungsmeldung hätte die öde Geschichte dann nicht gereicht, und erst recht nicht für ein Theaterstück.
Der unerhört schlechte Scherz, den sich der serbische Emigrant im Jahre 1935 statt dessen erlaubt hatte, lieferte den Stoff für Albert Camus' 1944 uraufgeführten Dreiakter Das Mißverständnis. Weil der lange verschollene Jan dem Irrtum unterliegt, eine Mutter müsse ihren Sohn unter allen Umständen wiedererkennen, quartiert er sich unter falschem Namen in ihrem Gasthaus ein. Pech für ihn, denn Mutter und Schwester Martha sind in seiner Abwesenheit zu professionellen Mörderinnen geworden, und so landet der Eingeschläferte in der Nacht im Fluß. Zurück bleibt nur seine Brieftasche und der Reisepaß, den sich die Frauen leider nicht rechtzeitig angesehen haben. Als sie es nachholen, folgen sie Jan in den Tod.
Die tragische Verkettung von Irrtümern, die das Stück zeigt, wollte Camus nicht als Pessimismus verstanden wissen. Regisseur Yoshi Oida, der Das Mißverständnis nun für das Thalia Theater bearbeitete, schloß sich dem an. Folgerichtig ist in seiner Inszenierung kein Platz für Depressionen oder Sentiment, sondern nur für schlichten Ernst. Die Aussage, daß einem kein Gott hilft, wenn man ihn im Himmel sucht, wird transportiert, ohne sich aufzudrängen. Das Camus-Verständnis des in Paris lebenden Japaners ist gekonntes Understatement ohne Effekthascherei, das sich auf die Schauspieler verläßt.
Diese enttäuschen den Regisseur nicht: Hans Kremer (Jan) und vor allem Annette Paulmann (Martha) und Hildegard Schmahl (Mutter) zeigen in einem düsteren, trutzburg-artigen Raum (Bühne: Tom Schenk) Charaktere, die jedem Anflug von Klischee trotzen und leise Geheimnisse andeuten, die nicht gelöst werden müssen. Hatte die Schwester Jan vielleicht doch erkannt und trotzdem getötet? Wer von den beiden Frauen trägt Schuld an dem tödlichen Handwerk? Es scheint, als würde allenthalben nur ein eiziges, klärendes Wort fehlen, um die Tragödie zu verhindern. Das vieldeutige Geflecht an Beziehungen steht im Kontrast zur eindeutigen Botschaft und macht das Stück unbedingt sehenswert. Nur offensichtlich nicht für jeden, wie der verhaltene Premierenapplaus am Samstag zeigte. Vielleicht war es dem Publikum nicht spannend und modern genug. Wer da wohl was mißverstanden hat?
Barbora Paluskova
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen