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„Wonne über Wonne“

■ Am Freitag erklang zu mitternächtlicher Stunde Musik von Mauricio Kagel im großen Haus der Hamburgischen Staatsoper

Mit einem gänsehäutenden Heulen stürzt sie aufs Podium: Die blonde Vampirella stöckelt, stockt, sackt vor einem Cembalo mit rotem Samtkissen auf die Knie. Ihren hysterischen Lobgesang aus Fetzen und Verballhornungen Bachscher Choräle begleitet sie mit steifer linker Hand. „Wonne über Wonne“ juchzt sie in höchsten Tönen, wol- lüstig verzückt.

Nicht nur die Zweideutigkeit religiöser Ekstase persifliert Mauri- cio Kagel in seiner Recitativarie für eine singende Cembalistin dank seiner Interpretin Beth Griffith treffsicher amüsant. Der vielseitige Komponist und Regisseur ließ auch seinem Sinn fürs Szenische und Groteske noch mehr die Zügel als in den anderen Kammerwerken, denen das Ensemble L'art pour l'art am Freitag im großen Haus der Staatsoper zu nächtlicher Stunde ein Porträt widmete.

Die künstlerische Spanne Kagels reicht in diesem Genre von durchweg szenischen bis zu rein musikalischen Stücken – vom Stillleben con voce für drei steife Musiker, deren Kehlen ab und zu jämmerliche Imitationen ihrer stummen Instrumente entfahren, bis zum Phantasiestück, einem beinah traditionellen, sehr spielerischen Flötenduo.

Für Acustica, eines seiner gewichtigsten Stücke für Kammerensemble, verlangt Kagel ein eigenes Instrumentarium aus Rat- schen, umgebauten Plattenspielern und kompliziertem pneumatischen Pfeifgerät, das das Ensemble speziell bauen lassen mußte. Dazu tönt über Lautsprecher ein vorproduziertes Tonband, das ein Musiker live manipuliert. Diese Ebenen sollten sich nicht durchdringen, schrieb der Komponist über sein Stück. Doch es ist gerade die ge- genseitige Bezugnahme aller Klangquellen, die Allmählichkeit der Verflechtungen, die den Reiz dieser räumlichen Musik ausmachen. Dem Ensemble gelingt es ganz natürlich, Kagels feinen Schalksinn zu treffen. Keine Miene verziehen die Akteure im Duo von Nagelgeige und Metallmakkaroni, die Ensembleleiter Matthias Kaul mit dem Gasbrenner laborös zu röhrendem Leben erweckt, oder wenn ein diffiziles Nervensägen sich zur Detonation steigert.

Lange nach Mitternacht erklang – als Uraufführung – eine Serenade, die ihren Namen verdiente. Kagel komponierte dem Kern von L'art pour l'art eine abwechslungsreiche, zarte Musik in wechselnden Trio-Besetzungen, bei der das schauspielerische Vermögen der Musiker sich auf das Werfen von chinesischen Kunstblumen beschränkte. Mit zahlreichen Zitaten und mediterranen Anklängen knüpften die vergnüglichen Szenen den Bezug zur historischen Nachtmusik. Oft glitten die Nummern in raffinierte geräuschhafte Winzigkeiten rein rhythmischen Spiels, bei dem L'art pour l'art sich noch nicht ganz sicher fühlte.

Trotzdem brachen der humorvolle Komponist und seine geistesverwandten Interpreten hinter der Bühne in gerechtes Lachen aus – über das Gelingen, die Musik, das Publikum und sich selbst.

Hilmar Schulz

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