: Wolfsschanze revisited
Die ARD zeigt zum 60. Jahrestag des Hitler-Attentats im Juli 2004 „Stauffenberg“. Gedreht wird mit großem Aufwand. Regisseur und Drehbuchautor Jo Baier will sich dabei „um gar nichts drücken“
aus Berlin STEFFEN GRIMBERG
Dem Pärchen aus Portugal, das sich am späten Montagnachmittag zur Gedenkstätte deutscher Widerstand in der ehemaligen Obersten Heeresleitung verirrt, bietet sich ein irritierendes Bild: Im Wehrmachtsfeldgrau stehen da zwei mit diversen Haken- und anderen Kreuzen dekorierte Uniformträger im Hof des Bendlerblock und nehmen Haltung an.
Die Binsenweisheit, Geschichte wiederhole sich nicht, hilft wenig. Entspannung schleicht sich erst ein, als ein Pulk ziemlich jetztzeitiger Fotografen anrückt, sich vor den beiden Soldaten aufbaut und beginnt, sie am historischen Ort abzulichten: Sebastian Koch spielt Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Ulrich Tukur seinen Freund und Vertrauten Henning von Tresckow. Seit Dienstag laufen in Berlin die Dreharbeiten zu „Stauffenberg“.
„Photocall“ heißt es auf Neudeutsch, wenn Sender (SWR) und Produktionsfirma (teamworx) zum Produktionsauftakt laden, und Photocalls haben die Angewohnheit, immer länger zu dauern als geplant. Wehrmachtsuniformen, lernt der unbeteiligte Beobachter derweil, waren bunter, als man denkt. Reithosen mit breiten Streifen in einer Farbe, die man heute wohl als Telekom-Magenta beschreiben würde. Doch wie hieß das 1944? Warm scheinen die Dinger bzw. ihr Nachbau in jeden Fall zu sein: Trotz rein natürlicher Beleuchtung durch die längst nicht mehr so heiße Berliner Sonne müssen die Damen von der Maske zwischendurch immer mal wieder Hand bzw. Schweißtuch anlegen.
Dann ist es vollbracht, und die Herren ziehen sich noch rasch im Konferenzraum B der Gedenkstätte um. Draußen auf dem Flur davor hängen die Tafeln, die das Schicksal der Verschwörer des 20. Juli 1944 und die folgenden Prozesse vor dem Volksgerichtshof der Nazis dokumentieren. Stauffenberg und Tresckow waren da schon tot: Der schwer kriegsbeschädigte Stauffenberg, der am 20. Juli Hitler mit einer Bombe in dessen Hauptquartier „Wolfsschanze“ in Ostpreußen in die Luft sprengen wollte, wurde noch in der Nacht des gescheiterten Aufstands im Hof des Bendlerblocks erschossen. Tresckow beging am Tag darauf Selbstmord, nach dem Prozess vor dem Volksgerichtshof wird seine Leiche auf dem elterlichen Gut in Wartenberg von der Gestapo exhumiert und verbrannt.
Drinnen im Saal versucht man unnötigerweise den Eindruck zu zerstreuen, hier handele es sich um eine bloße öffentlich-rechtliche Pflichtveranstaltung zur 60. Wiederkehr des 20. Juli 1944. Dagegen sprechen schon Schauspieler wie Koch und Tukur, aber auch so ungewöhnliche Besetzungen wie Olli Dittrich als Goebbels – und vor allem Jo Baier. Der Macher von Strittmatters „Laden“ (ARD) oder des Sedlmayr-Psychogramms „Wambo“ (Sat.1) ist auch bei „Stauffenberg“ Drehbuchautor und Regisseur in einer Person. Ihm geht es um „Zivilcourage, um Mut bis zur Selbstverleugnung“, so Baier. Um „Menschen, die für ihre Überzeugung ihr Leben hingegeben haben. Vorbilder. Vielleicht in der Spaßgesellschaft nicht gerade zeitgemäß – aber umso wichtiger.“ Und das eben nicht als strahlende Gedenktagshelden, wie ihrer alljährlich von den Peter Strucks und Bundeswehr-Ehrenwachen der deutschen Bundesrepublik gedacht wird. Sondern bewusst mit all ihren Grautönen: „Wir drücken uns um gar nichts“, sagt Baier. Und meint die Entwicklung des konservativen Preußen, der noch 1941 die Vereinigung des Oberbefehls über Heer und Wehrmacht auf Hitler begrüßte, zum Offizier, der schwer mit sich und seiner Weltanschauung hadert, dann aber doch den Treueeid auf diesen „Führer“ bricht.
Den spielt im Film Udo Schenk, und wie Olli Dittrich sieht man ihm an, dass er nicht so ganz weiß, ob er sich über die Rolle freuen soll oder nicht. Für Dittrich („Im Verständnis der Leute, die Schubladen füllen, bin ich ja Komödiant“) geht es auch um Wahrnehmung als Schaupieler. „Wenn man aus dem Gauklerfach kommt, ist es ja nicht an der Tagesordnung, das man so etwas angeboten bekommt.“ Sein Goebbels muss auch anders werden als der „schreiende, Reden haltende Propagandaminister, der den meisten oberflächlich in den Sinn kommt“. Denn im Film wird er nur in einer Schlüsselszene zu sehen sein, als er mit dem nur leicht verletzten Hitler in der Wolfsschanze telefoniert und das Signal zum Gegenangriff – und zu entsprechenden Meldungen im von den Widerständlern nicht besetzten Rundfunk – gibt.
Stauffenberg ist da längst wieder im Bendlerblock: Weil er zur Koordinierung des Aufstands unersetzlich ist, musste er zurück nach Berlin, ohne sich vorher davon überzeugen zu können, ob Hitler wirklich tot ist.
„Ich fühle mich verpflichtet, diesem Menschen mit dem Film gerecht zu werden“, sagt Baier noch, und auch wenn man sich natürlich ein bisschen lobhudelt, dass man die „Wolfsschanze“ nahe dem brandenburgischern Jüterbog beinahe naturgetreu wieder aufbaut und im Studio in Köln den halben Bendlerblock: Über einem schnöden Pressegespräch liegt beinahe so etwas wie feierlicher Ernst.
Dabei hat noch gar keiner gesagt, was das Ganze kostet. Genaue Zahlen gibt es auch nicht. So viel ist sicher: 34 Drehtage, rund 75 Schauspielerrollen für einen (längeren) Einteiler gehören auch bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht eben zum Produktionsalltag. Da mag dann doch noch eigentlich die ungeliebte Kalendermentalität der Programmverantwortlichen geholfen haben: „Bei kostspieligen Produktionen ist das Jahrestage-Denken ja doch sehr verbreitet“, sagt irgendwann Produzentin Gabriela Sperl.