Wohnungsnot und Klimaschutz: Neubau ist keine Lösung

Wer eine neue Bleibe sucht, ist oft verzweifelt. Trotzdem: Es gibt in Deutschland nicht zu wenig Wohnraum. Er ist nur falsch verteilt.

Rheinhauser dahinter Kräne

Neubau im Münchener Speckgürtel: Täglich gehen in Deutschland 60 Hektar verloren Foto: Sven Simon/imago

Droht eine neue Wohnungsnot? Bauarbeiter sind knapp, die Kreditzinsen steigen, und Baustoffe werden teurer. Wer jetzt eine Bleibe sucht, ist oft verzweifelt. Dennoch kann es keine Lösung sein, permanent auf Neubau zu setzen. Denn an Wohnflächen fehlt es nicht: Im Durchschnitt verfügt jeder Bundesbürger über 47,4 Quadratmeter Wohnraum. Das ist sehr üppig, die Flächen sind nur falsch verteilt. Gutsituierte wohnen großzügig, während Arme oder junge Familien oft beengt leben. Dieses Problem ist altbekannt, wurde aber nie gelöst, obwohl ständig weitere Wohnungen entstehen. Neubau allein hilft offenbar nicht – ruiniert aber die Umwelt.

Jeder Bau benötigt Beton, der zudem unschlagbar praktisch ist: Er ist billig, haltbar, feuerfest und rostfrei. Leider emittiert die Produktion des Baustoffs sehr viel CO2, was sich nicht verhindern lässt. Denn Beton basiert auf Zement, der wiederum aus Kalk entsteht – indem Kohlendioxid abgespalten wird.

Theoretisch könnte Holz eine ökologische Alternative sein, weil es Kohlendioxid bindet. Aber leider gibt es viel zu wenig Holz, um jene 4,6 Milliarden Tonnen Zement zu ersetzen, die weltweit jährlich verbaut werden. Schon jetzt ist Holz so knapp, dass die Preise explodieren. Und das Angebot dürfte weiter sinken: Die Waldflächen schrumpfen in einem alarmierenden Tempo, weil sie in vielen Ländern zu Äckern werden.

Der Neubau muss enden, zumal Gebäude nicht nur Zement verbrauchen – sondern auch Boden. Jeden Tag gehen in Deutschland 60 Hektar verloren, weil Straßen asphaltiert oder Häuser errichtet werden. Freie Flächen werden aber benötigt, um Grundwasser zu bilden und Kohlendioxid zu binden. In den Böden und im Humus sind weltweit etwa 1.500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert – dreimal mehr, als alle Wälder absorbieren. Werden Flächen bebaut, ist der versiegelte Boden für immer verloren: Es dauert mindestens 100 Jahre, bis ein Zentimeter Humus neu entsteht.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Deutschland hat daher zugesagt, den Bodenverlust bis 2030 auf null zu senken. So ist es in den UN-Nachhaltigkeitszielen vereinbart. Trotzdem geht der Flächenfraß ungebremst weiter, und die politische Debatte gleitet sofort ins Hysterische ab, wenn das Eigenheim in die Kritik gerät. Dies mussten auch die Grünen im Wahlkampf 2021 erleben, als Fraktionschef Anton Hofreiter in einem Interview feststellte: „Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr.“ Prompt hagelte es Vorwürfe, dass die Grünen eine „Verbotspartei“ seien und ein „gestörtes Verhältnis zum Eigentum“ hätten.

Jeder Neubau ist Umweltfrevel. Dies gilt auch für Passivhäuser. Sie verbrauchen zwar wenig Strom, aber es kostet eine Menge „grauer Energie“, diese angeblich grünen Häuser zu errichten. Und zur Erinnerung: Wir benötigen die Böden, damit Grundwasser entstehen und Kohlendioxid gespeichert werden kann. Richtig wäre daher, Wohnraum gerecht zu verteilen. Dieser Vorschlag ist radikal, aber eine andere Lösung bleibt nicht, wenn der Flächenfraß enden soll.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.