Wohnprojekt im Westjordanland: Eine neue Stadt für Palästinenser
Im Herzen des Westjordanlandes entsteht ein modernes Wohnprojekt für den palästinensischen Mittelstand. Nicht Dschihad oder Arafat heißt die Stadt, sondern Rawabi.
Bashar Masri ist ein Mann mit Vision, den die Herausforderung lockt. Mit großen Schritten nimmt der 49-jährige Geschäftsmann sein jüngstes Projekt in Angriff. Er baut eine Stadt. Rawabi soll sie heißen, das arabische Wort für "Hügel". Schon ebnen Bulldozer in mühsamer Arbeit den schwer zu bändigenden Boden der sechs kleinen Berge, auf denen in der ersten Bauphase 5.000 Wohnungen entstehen sollen. Platz für 40.000 Neubürger.
Die künftige Stadt ist eine Mischung aus alt und neu, aus Orient und Okzident mit "deutlich höherem Lebensstandard als in anderen Städten", verspricht der Bauherr. Das soll mit der Struktur von Nachbarschaften erreicht werden und einem Stadtzentrum, das sich an der Altstadt von Jerusalem und Nablus orientiert. Gleichzeitig wird es eine autofreie Innenstadt geben mit tausenden grünen Bäumen. Moscheen und Kirchen sind geplant, Freizeitparks, Kinos, Theater und Galerien. In zweieinhalb Jahren kommen, so die Planung, die ersten Umzugswagen.
Als Masri die Idee vor dem Expertenteam seines Immobilien-Unternehmens vortrug, "zählten wir über 100 Hindernisse", erinnert sich der schlanke Geschäftsmannt. "Massar International" umfasst ein Netzwerk von 15 Filialen mit dem Hauptsitz im Westjordanland. Vor allem in Marokko, in Ägypten und Jordanien baut Masris Unternehmen Wohnungen, Einkaufszentren, Unterhaltungs- und Erholungsstätten. Den Namen "Rawabi" wählten die Städteplaner mit bedacht. "No politics", erklärt Masri, der Namensvorschläge wie "Djihad", "Arafat" oder "Jaffa" rundweg ablehnte. Die mit Abstand höchste Hürde beim geplanten Städtebau sei der Kauf des Landes gewesen, das Masri neun Kilometer nördlich von Ramallah "im Herzen des Westjordanlandes", wie er sagt, für sein Projekt auswählte. Die Suche nach den Eigentümern, die zur Mehrheit in alle Welt zerstreut leben, habe Monate gedauert. Unerwartetet leicht erging es Masri wiederum bei der Suche nach Investoren. Einmal Vorsprechen bei der Regierung in Qatar reichte, um finanziell grünes Licht geben zu können. Qatar steckt mit 70 Prozent in dem Projekt, "Massar International" hält den Rest.
Rawabi ist ein "strikt unternehmerisches Projekt des privaten Sektors", gibt Masri ohne Umschweife zu. "Im Bereich der Wohlfahrt habe ich keine Erfahrungen." Und doch geht es dem in Nablus aufgewachsenen Sohn einer der reichsten palästinensischen Familien nicht nur ums Geld. Investition im Westjordanland heißt immer auch politische Unwägbarkeiten in Kauf nehmen zu müssen, während "wir in Marokko sicheren Profit machen können". In den Palästinensergebieten mangelt es an Wohnraum. Rund ein Drittel der Menschen lebt in provisorischen Behausungen oder in völlig beengten Verhältnissen. Ursprünglich hatte Masri noch eine zweite Stadt im Gazastreifen geplant, was jedoch am Machtwechsel und der anschließenden israelischen Blockade scheiterte.
Der sympathische Unternehmer trifft fast überall auf offene Türen. Das Weiße Haus jubelte über seine Pläne und die Palästinensische Autonomiebehörde signalisierte umgehend Kooperation bei der Finanzierung öffentlicher Gebäude. Sogar der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak kündigte an, den Bau einer Zufahrtsstraße nach Rawabi zu genehmigen, obwohl sie über das Land einer israelischen Siedlung führen wird. "Die Straße, die die Siedler ärgern wird", lautet die Überschrift. Ateret und Chamisch gehören indes zu den isolierten Siedlungen, die im Rahmen einer End-Status-Lösung ohnehin geräumt werden müssten.
El Masri, der mit einer Amerikanerin verheiratet und Vater zweier Töchter ist, hat überall seine Finger im Spiel. Sogar bei der Auswahl der Steine für das Stadtzentrum steht er begutachtet die probeweise auf knapp einen Meter hoch gemauerten verschiedenen Steinarten.
Zielgruppe für die zwischen 100 und 140 Quadratmeter großen Wohnungen ist die mittlere bis gehobene Einkommensklasse, junge Alleinstehende, Paare und Familien. Vorläufig bewegen sich die Preise für eine Wohnung bei 70.000 Dollar für die kleineren und 100.000 Dollar für die größeren Wohnungen. Das ist rund 25 Prozent günstiger als in Ramallah. Schon jetzt sind auf der Internetseite von Rawabi 7000 Anfragen eingegangen. Masris Team hat die Auswahl. Man wünscht sich "gebildete, moderne Internet-User, die im festen Arbeitsverhältnis stehen".
Sobald die ersten 5000 Bürger ihr neues Zuhause bezogen haben, sollen sie das Schicksal Rawabis durch die Wahl einer Stadtverwaltung selbst in die Hand nehmen. Bis dahin plant Masri eine grün-ökologische und kinderfreundliche Stadt, die jungen Müttern durch Angebote der Babyversorgung eine schnelle Rückkehr in ihren Beruf ermöglichen soll. "Nur wenn wir Erfolg haben, werden weitere Investoren bereitstehen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz