: Wohngeldwahnsinn live
■ Was passiert, wenn man zu wenig Geld verdient, um Wohngeld zu beziehen Eine ganz betroffene Geschichte erzählt Garcia-Maria Mercedes
Ich möchte Ihnen heute eine Geschichte aus dem wahren Leben erzählen, und zwar aus dem Amtsmilieu. Genauer gesagt aus dem Wohngeldamt. An und für sich eine feine Sache, nirgendwo sonst gibt es so einfach Geld rausgerückt. Man geht da mal kurz hin, füllt einen relativ leichtverständlichen Antrag aus, zeigt ein paar Belege vor und schon ist alles Inkasso. Dennoch können sich unerwartete Schwierigkeiten ergeben, sofern kein Einkommensnachweis vorhanden ist.
Das Problem fängt dann an, wenn man zu wenig Geld verdient, um Wohngeld beziehen zu können. Das gibt es nämlich nicht, darf es überhaupt nicht geben: Jeder Mensch in diesem Land hat mindestens den Sozialhilfesatz zur Verfügung. Nun gibt es aber, dem Staatsgefüge offizell nicht bekannt, eine große Anzahl Menschen, die keinen Nerv auf das Sozialamt haben und sich dennoch durchschlagen. Hier und da verdient man ein paar Mark, es gibt Freunde - irgendwie kommt man schon durch .Tja, beim Wohngeldamt ist diese Lebensform aber nicht existent.
Glücklicherweise geben die Sachbearbeiter dem schwitzenden Antragsteller Tips in Form von Fragestellungen, ob denn vielleicht von Freunden, sagen wir mal 10.000 Mark, geliehen worden sind, „von denen Sie ihren Lebensunterhalt in letzter Zeit bestritten haben.“ Der geistreiche Antragsteller hat inzwischen das Spiel durchschaut, sagt Ja und Amen, und verspricht schnellstmöglich die entsprechenden Verträge nachzureichen. Die stellt er in der Regel selbst her und schickt sie an das Amt, das solche Fälschungen nicht weiter in Frage stellt, sondern schön abheftet.
Nun gibt es aber die Obersachbearbeiter, die sich einige Fälle rauspicken, um nachzuhaken. Leider arbeiten diese Menschen außerordentich gerne mit meiner Person, man bittet mich mit Vergnügen zu persönlichen Gesprächen; und so handelt die weitere Geschichte von jener Zusammenkunft zwischen mir und meinem Herrn Obersachbearbeiter, der mich eines tages vorlud. Ich also im Morgengrauen hin. Meine freundliche, junge Sachbearbei
terin vom Menschentyp: „Heute Abend gehen wir ins Stubu“ begleitet mich zum Büro des Obersachbearbeiters. Ein großer kahler Raum mit nur den nötigsten Möbelstücken: Aktenschrank, Schreibtisch mit Sessel und ein Schemel für den Antragsteller. Müde schaut ein einsamer Mann hoch, der schon lange keine Autorität mehr ausstrahlt. Seine Wände hat man ihm „freundlich“ orange gestrichen, damit er nicht eines Tages aus dem Fenster springt. Der Obersachbearbeiter blättert in meiner Akte.
„Äh, sie haben hier angegeben, Ihre Freundin Ix Ix, wohnhaft Bla Bla, hätte sie im letzten halben Jahr ernährt.“ Er schaut kurz hoch und mustert mich aus rein persönlichem Interesse, ob irgendwelche Anzeichen für Zuhälterei sprechen. Ob es sich, ähem, bei dieser Zuwendung denn um Vollernährung, daß heißt also Frühstück, Mittagessen und Abendbrot handlt.
Mein Gott, das wollte der Knurzel also von mir wissen. Vollernährung mit Frühstück, Mittagessen und Abendbrot wenn ich mir das täglich antun
würde, wäre ich wahrscheinlich dick und fett.„Selbstverständlich“, antworte ich, „Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.“ Damit ist die Sache sozusagen gegessen, keine weiteren Einwände. Der Obersachbearbeiter kann sich dem nächsten Fall widmen und freut sich auf das Mittagessen. Ab und an, wenn die Buchstaben in den staubigen Akten vor seinen Augen verschwimmen, träumt er davon, wie er mit seiner Frau und den Kindern einmal im Leben Disneyworld besuchen wird - wenn erst mal das Reihenhaus am äußersten Stadtrand abbezahlt ist. Dann reißt er sich wieder zusammen und schaut kurz auf die orangefarbigen Wände, bevor er seine Aufmerksamkeit erneut einer Akte mit zweifelhaften Angaben schenkt. Und er fragt sich, was es heute wohl zum Abendessen geben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen