: Wohnen ohne Didaktik
■ Matt Mullican in der Galerie Fahnemann
Von einem Haus, das noch keins ist, aber werden soll, entwirft der Architekt ein Bild. Aus Strichen, Netzen, Winkeln und Kreisen entsteht Gebäudekomplex um Gebäudekomplex. Die Abstraktion ist hier Projektion, nicht Reflexion der Erfahrung. Der Architekt hat tausende von Häusern betrachtet, studiert und nach Schwachstellen abgeklopft, um am Ende das seinige, das ideale den Häusern der Welt entgegenzusetzen. In manchen werden Menschen wohnen, werden Familien die von ihm umgrenzten Leerräume mit Leben füllen.
Viele Architekten haben an den Städten der Welt gebaut, keine ist aus der Hand eines Einzelnen erwachsen. Matt Mullican leistet sich jedoch das Konzept einer Stadtplanung im Alleingang. Nur der Computer steht ihm dabei zur Hilfe. Mit Großrechenanlagen hat er der binären Codierung des Logikschematismus zwischen 0 und 1 eine Phantasiewelt abgerungen, die für die Dauer eines Kurzfilms vom Computer animiert auflebt. Aus diesem Film hat er dann photografisch einige Bilder als Standphotos herausgebrochen, Blow-Ups davon hergestellt und zu guter Letzt in großformatigen Leuchtkästen an die Galeriewand gehängt.
Zur Betrachtung steht weniger die filmische Reise durch die simulierte Welt, sondern im Gegenteil ihre Stillstellung als Hervorhebung des graphischen Prinzips. Das Modell einer perfekten Straßenflucht wird einem idealen Stadtkern gegenübergestellt und Wohnsiedlungen stehen im Dialog mit Kultursilos. Und hinter allem steht dennoch nicht die Didaktik des Künstlers, der mit utopischen Vorstellungen eines besseren Lebens in der Stadt lockt.
Matt Mullican ist auf elementarere Ereignisse aus. In seiner Modellstadt wirken die verschiedenen aktuellen Zeichenmodelle der vergangenen Jahre zusammen. Symbolische, mythische, real abstrahierte und warenästhetische Konfigurationen finden sich in Piktogrammen - Bildschriften- wieder. Daraus entsteht anstelle der Lebenswelt der Moderne ein Bild von der Zeit danach. Mullican erläutert seine forschenden Abstraktionen als schöpferisches Denken, mit dem es das Material zu beherrschen gilt:» Meine Kosmologie ist nur als Modell einer Kosmologie zu verstehen«, so in der Art-Ausgabe vom Dezember. So wie sich aus dem kleinsten Stein eine ganze Welt zusammensetzen ließe, folgt dem Minimalmodell des Computers die Welt in der wir leben. Die Welt des Computers von Mullican ist bunter, komprimierter und rätselhafter. Harald Fricke
Matt Mullican »Computer Projekt Lightboxes« bis 2.2., Di-Fr 11-18.30 und Sa 11-14 Uhr in der Fasanenstr. 61, 1-15
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