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ÖkolumneWohlstand wächst

■ Die Liberalisierung beim Strom darf nicht behindert werden

Fünfzehn Jahre hat die Öffnung der Strom- und Gasmärkte in Anspruch genommen. Bereits 1985 forderte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit Nachdruck eine Reform auch der energierechtlichen Rahmenbedingungen. Die handfesten Vorteile des Wettbewerbs auf dem Energiemarktes konnten jedoch erst mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen realisiert werden. Nun, fast fünfzehn Jahre später, tragen die Reformen auch in Deutschland erste Früchte. Die Strompreise für industrielle Sonderabnehmer sind in den vergangenen Jahren mit schöner Regelmäßigkeit um jeweils 0,5 Pfennig pro Kilowattstunde (kWh) gesunken und liegen heute knapp 15 Prozent unter dem Niveau von Anfang der 90er-Jahre.

Mit diesem Preisrückgang konnte nicht nur der vielfach beklagte Kostennachteil stromintensiver Produkte gegenüber ausländischen Konkurrenten verringert werden. Außerdem sparen die industriellen Verbraucher jährlich rund vier Milliarden Mark. Zum Vergleich: Die erste Stufe der Ökosteuer-Reform entlastet die produzierende Wirtschaft um bescheidene 540 Millionen Mark. Über sinkende Strompreise freut sich jedoch nicht nur die Industrie: Bei der Bundesbahn etwa summieren sich die Einsparungen bislang auf 260 Millionen Mark; der Staat spart mehr als eine halbe Milliarde, und für arbeitsintensive Dienstleistungsbetriebe wie Banken, Gaststätten oder Beratungsgesellschaften kostet die Kilowattstunde nicht mehr 25, sondern nur noch 22 Pfennig. Nur die privaten Haushalte gingen – zumindest bis Ende 1998 – leer aus. Schlimmer noch: Der Strompreis stieg seit Anfang der Neunzigerjahre kontinuierlich von 21 auf 24 Pfennig pro Kilowattstunde.

Doch nun zeigt sich, dass Wettbewerb unteilbar ist: Was Unternehmen wie BASF oder Opel recht ist, kann Otto Normalverbraucher nur billig sein. Wöchentlich werden die Haushalte von neuen Preisangeboten überrascht, die Preissenkungen in beachtlicher Größenordnung versprechen. Auch wenn einiges dafür spricht, dass diese Preisausschläge eher eine Halbwertszeit von Monaten denn von Jahren haben, so dürfte die Stromrechnung der Privaten auch auf längere Sicht deutlich sinken. Dadurch werden immerhin bis zu zehn Milliarden Mark frei für andere Verwendungszwecke, zum Beispiel für den Kauf neuer Möbel, Elektrogeräte oder für eine neue Heizung. Kostenentlastungen der Unternehmen und niedrigere Ausgaben der privaten Haushalte summieren sich zu einem beachtlichen Wohlstandseffekt. Darüber dürften sich nicht nur Unternehmen und Private, sondern vor allem auch der Finanzminister freuen. Denn mehr Wohlstand bedeutet zugleich weniger Arbeitslose, weniger Arbeitslosengeld und geringere Transfers des Bundes an die Bundesanstalt für Arbeit. Wäre die Energierechtsreform nicht schon verabschiedet worden, müsste die jetzige Bundesregierung sie unbedingt in das Bündnis für Arbeit aufnehmen.

Wo Licht ist, fällt aber auch Schatten: Der Wettbewerb kennt nicht nur Gewinner, sondern mit Sicherheit auch Verlierer. Auf regionale Besonderheiten und energiepolitische Spezialitäten nimmt er keine Rücksicht. Die Politik kann den Wettbewerb jedoch durch sinnvolle Rahmenbedingungen gestalten. Sie hat nicht nur dafür zu sorgen, dass für alle am Wettbewerb beteiligten Unternehmen gleiche Bedingungen gelten, sondern dass vor allem bislang unstrittige ökologische und soziale Ziele nicht der Liberalisierung zum Opfer fallen. Der weitere Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung oder die intensivere Nutzung regenerativer Energiequellen wie Sonne, Wind oder Wasser stehen daher nicht zur Disposition. Die ökologischen und sozialen Ziele dürfen aber ebenso wenig als Vorwand missbraucht werden, um das Rad wieder zurückzudrehen.

Neue Konzepte müssen garantieren, dass der weitere Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung oder die intensivere Nutzung regenerativer Energiequellen mit möglichst geringen Kosten erreicht werden. Ordnungsrechtliche Vorgaben in Form von Ge- oder Verboten sind dazu nicht geeignet. Die politischen Entscheidungsträger können dabei auf eine Vielzahl von Erfahrungen etwa in den Vereinigten Staaten oder in den skandinavischen Ländern zurückgreifen. Die Politik sollte diese Erfahrungen nutzen: Effizienz gilt eben nicht nur für Unternehmen, sondern auch für politische Entscheidungsträger. Bernhard Hillebrand

Am nächsten Samstag folgt eine Ökolumne zum Thema „Liberalisierung und Arbeitsplätze“

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