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■ Wohin treibt Nigeria? Owens Wiwa, Bruder des getöteten Ken Saro-Wiwa, über mögliche Perspektiven des Wandels„Effektive, entschiedene Sanktionen“

taz: Wie haben Sie die Wochen im November erlebt, als Ihr Bruder Ken Saro-Wiwa in Nigeria gehängt wurde?

Owens Wiwa: Seit dem 23. Mai 1994 hielt ich mich im Untergrund versteckt, hauptsächlich in Lagos. Meinen Namen gaben die nigerianischen Militärs damals in allen Zeitungen bekannt, und sie versprachen ein Kopfgeld von 10.000 Dollar. Mit den Todesurteilen gegen Ogoni-Aktivisten entschied ich, daß ein Verbleiben in Nigeria zu gefährlich sei. Ich floh mit meiner Familie am 13. November aus Nigeria, drei Tage nachdem die Todesurteile vollstreckt wurden. Unser Weg führte uns längs eines Dschungelpfades nach Benin, dem westlichen Nachbarstaat Nigerias. Unser Ziel war Ghana, das wir über Togo erreichten.

Wir verbrachten eine Woche in Ghana. In dieser Zeit knüpfte ich Kontakt zum britischen Unternehmen „Body Shop“. Body Shop zeigte sich sehr hilfsbereit, organisierte das Visum für Großbritannien und zahlte den Flug. Als wir am Flughafen von Ghanas Hauptstadt Accra eintrafen, wurde mein Name ausgerufen. Ich befürchtete das Schlimmste, weil ich nicht sicher sein konnte, daß die ghanaische Führung um Jerry Rawlings meinen Aufenthalt überhaupt duldete – Ghana bezieht Öl aus Nigeria. Als wir dann ohne weitere Komplikationen im Flugzeug saßen, flog das Flugzeug zu unserem völligen Entsetzen zurück nach Nigeria – in die größte Stadt des Nordens, Kano. Wir saßen in der Business Class, als der Sicherheitsdienst des Kano-Airports ins Flugzeug stieg. Ich schaute sie an, doch sie erkannten mich nicht. Wir flogen dann weiter über Amsterdam nach London.

Das Militärregime stellt demnächst weitere 19 Ogoni-Aktivisten vor ein Sondergericht. Wird Ihnen persönlich auch eine Straftat angehängt?

Ich bin nicht unter den Angeklagten; das liegt daran, daß die Polizei oder der Geheimdienst mich noch nicht verhaften konnten. Allerdings droht mir auch ein ähnliches Verfahren, und das Militärregime will weiteren 150 Ogonis den Prozeß machen.

Wie ist jetzt noch Widerstandspolitik in Nigeria möglich?

Auf jeden Fall befinden wir uns in einer neuen Situation. Momentan sind ungefähr 4.000 Soldaten im Ogoni-Gebiet stationiert. Wir können uns nicht mehr frei bewegen. Die meisten Aktivitäten haben wir in den Untergrund verlegt. Aktivisten und Sympathisanten müssen sich im Wald treffen. Zusammenkünfte mit mehr als drei Personen gelten als Verschwörung. Deshalb wollen wir momentan auch zu keiner Demonstration aufrufen, weil die Armee skrupellos schießt. Wir wollen nicht noch mehr Menschen sterben sehen.

Unsere Hauptaufgaben vor Ort liegen darin, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren sowie der Bevölkerung Informationen zu vermitteln. Dies funktioniert mittels Kirchen, Flugblättern und wenigen unabhängigen Zeitungen. Für die Mitglieder im Ausland besteht die Aufgabe, der Welt die Wahrheit und die Ausmaße der Verwüstung im Ogoni-Land deutlich zu machen.

Ken Saro-Wiwa war ein Mosop-Präsident, der international bekannt war. Wer repräsentiert nun Mosop?

Wir hatten noch keine neuen Wahlen, um den zukünftigen Präsidenten zu finden. Auch wenn Saro-Wiwa tot ist, so repräsentiert er immer noch die Mosop.

Ihre Bewegung bekannte sich immer zu friedlichem Widerstand. Kommen jetzt Stimmen, die radikalere Methoden fordern?

Wir haben gelernt, uns mit friedlichen Methoden den Problemen zu nähern, und wir denken immer noch, daß dies das beste ist. Wir haben weder die Neigung noch die Ressourcen und Ausbildung, um Gewalt anzuwenden. Das Volk der Ogonis hat es mit zwei Gegnern zu tun: dem nigerianischen Militär und Shell. Diese beiden sind gewalttätig, und sie haben die Ressourcen und die Neigung zur Gewalt. Das haben sie uns schon oft bewiesen. Wir werden uns nicht selbst erniedrigen, indem wir Gewalt als legitimes Mittel betrachten.

Es gibt Widerstandskämpfer, die gesehen haben, wie Ken Saro- Wiwa endete, und die nicht seinen Weg gehen wollen. Befinden sich gewaltbereite Oppositionelle in unseren Reihen, müssen wir sie auffordern zu gehen. Ich kann sie ein wenig verstehen, denn die Generäle sind Feiglinge. Wenn die hohen Offiziere den Knall der Kugeln hören, werden sie weglaufen. Sie werden zu ihren Banken im Westen laufen und sich dort an ihrem Geld erfreuen. Daher läßt es sich nachvollziehen, wenn Menschen daran denken, den Mann an der Spitze mit Gewalt zu entfernen. Eine solche Methode ist aber nicht die Methode der Mosop.

Können Sanktionen Nigerias Führung unter Druck setzen?

Umfassende, effektive und entschiedene Sanktionen sind jetzt gefordert, gegen die nigerianische Herrschergwalt und gegen Shell. Es muß möglich sein, Shell-Produkte zu boykottieren! Im Moment erhält das Abacha-Regime seine größte Unterstützung durch Shell. Finanzielle, moralische und diplomatische Schützenhilfe – alles kommt von Shell. Shell verhindert die Demokratie in Nigeria. Sollte die Weltgemeinschaft nigerianisches Öl meiden und sollten die Menschen in Europa Shell-Produkte boykottieren, so wird es dem Militärregime und Shell schwerer fallen, ihr Klientelsystem aufrechtzuerhalten.

Wird es in Nigeria zu einem Umsturz kommen?

Greifen die Ölsanktionen nicht oder können sich gar die westlichen Mächte nicht auf einen solchen Schritt einigen, ist ein Umsturz wahrscheinlich. Mündet der Umsturz in einen Bürgerkrieg, stürzt die Nation ins Chaos. Keiner kann das wollen. Demokratische Kräfte wie Mosop und Nadeco (Nationale Demokratische Koalition) werden ein solches Szenario zu verhindern suchen und mit Hilfe einer souveränen Nationalkonferenz die Basis für ein gemeinsames Zusammenleben bauen.

Was für ein Bild einer politischen Lösung schwebt Ihnen vor?

Ein geeignetes Modell für ein demokratisches Nigeria könnte folgendermaßen aussehen: Eine Zentalregierung sollte die Hoheit über nationale Verteidigung, Außenpolitik, Einwanderung haben. Unter ihr besitzen aber die einzelnen Regionen, etabliert nach ethnischen Kriterien, Autonomie in den Bereichen Wirtschaft, Polizeiwesen, Bildung und so weiter. Wie auch immer ein Staatsmodell genau aussehen soll, Demokratie ist dafür unerläßlich.

Das Ziel ist klar, und wir brauchen die Hilfe der demokratischen Staaten. Denn Abacha ist nicht bereit zu gehen, und er wird auch nicht gehen. Noch nie in der nigerianischen Geschichte gab es ein Staatsoberhaupt, daß sich so sehr in der Anklage von Zivilpersonen engagierte. Mein Bruder war eingesperrt, Abiola [Sieger der annullierten Wahlen von 1993; d. Red.] ist eingesperrt, Obasanjo [Ex-Präsident von 1976 bis 1969; d. Red.] ist gefangen, so viele Menschen sind politisch verfolgt. Abacha hat mehr als 2.000 Ogonis getötet. Er wird die Macht nicht nach den versprochenen drei Jahren aus der Hand geben. Er will ewig bleiben. Interview: Hakeem Jimo, London

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