: Wochenend und Schludereien
■ War Feierabendlaune schuld am Haselhorster Tankzugunglück? / Umweltbehörde prüft Vorkehrungen gegen Schwachstellen / Wachen und Ventile fehlten / Sanierung dauert neun Monate und wird zwei Millionen Mark kosten / Wetter verhinderte größere Katastrophe
Nach dem Tankzugunglück vom Freitag prüft die Senatsumweltverwaltung, wie ähnlichen Vorfällen künftig vorgebeugt werden kann. Das Unglück, bei dem nach jüngsten Erkenntnissen 70.000 Liter Benzin in das Erdreich geflossen sind, hat mehrere Schwachstellen offenbart. So besaßen die sechs Tankwaggons der DDR-Reichsbahn keine Rückschlagventile. Außerdem gab es auf dem Esso-Tanklager keine Schlauchwachen, die den Entladevorgang überwachten. Wie berichtet, waren die Waggons am Freitag nachmittag vom Tanklager gezogen worden, obgleich die Entladung noch nicht beendet worden war. Die Schläuche rissen daraufhin ab, und auf einer Strecke von etwa einem Kilometer sickerte der Vergaserkraftstoff ungehindert in den Boden. Auf zwei Millionen Mark schätzt der Senat nun die Kosten der Bodensanierung. Bis zu neun Monate könnten die Arbeiten, bei denen das Benzin aus dem Boden gesaugt wird, in Anspruch nehmen, sagte gestern Bernd Hundenborn, der Geschäftsführer der Sanierungsfirma Santec.
Der Spandauer SPD-Abgeordnete Wolfgang Behrendt verlangte gestern vom Senat „zu prüfen“, wie für die Zukunft technische Vorkehrungen gegen ähnliche Unfälle „erzwungen werden können“. Ob die Reichsbahn verpflichtet werden könne, ihre Waggons mit Rückschlagventilen auszustatten, sei noch unklar, sagte Umweltstaatssekretär Groth gestern zur taz. Fraglich ist nämlich, ob die Reichsbahn an die Gefahrgutverordnung gebunden ist. Offen sei weiter, so Groth, wann die Verantwortung für die Waggons auf die Rhenus AG oder die Firma Esso übergehe. Die Unglückswaggons gehören zwar der Reichsbahn, in Haselhorst übernimmt jedoch die Rhenus AG den Eisenbahnbetrieb zu den Tanklagern, die verschiedene Mineralölfirmen hier betreiben.
Gestern vernahm die Umweltkripo den Rangierleiter der Firma Rhenus. Er hatte dem Lokomotivführer die Waggons zur Abfahrt freigegeben, ohne sich zu vergewissern, ob die Entladung beendet war. Eigentlich wäre er verpflichtet gewesen, einmal um den Zug herumzugehen, hieß es bei der Esso-Zentrale in Hamburg. Die Firma Esso bestreitet eine Mitverantwortung an dem Unglück. „Schlauchwachen“ bei der Entladung seien nämlich nicht vorgeschrieben. Das will Staatssekretär Groth nun „prüfen“.
Die Sanierungskosten muß nach Groths Meinung die Rhenus AG tragen. „Das klären unsere Anwälte“, sagte Rhenus -Niederlassungsleiter Peter Eichler. Sein Kommentar zur Fehlleistung des Rangiermeisters: „Wir stehen auch vor einem Rätsel.“ „Freitage sind unfallträchtig. Die Leute sind mit dem Kopf schon zum Teil im Wochenende“, meinte Esso-Sprecher Ukert. Das Wetter sei „ausgesprochen schön“ gewesen, als das Unglück passierte.
Das schöne Wetter hat andererseits verhütet, daß das Benzin ins Grundwasser und damit zum Wasserwerk Tegel sickerte. Das Grundwasser fließt am Unglücksort zur Zeit bereits in 4,5 Meter Tiefe. Das Benzin kam jedoch nicht weiter als bis zu einer Tiefe von 1,5 Meter. „Hätte es in Strömen geregnet, dann wäre es passiert“, meinte gestern der Sprecher der Berliner Wasserbetriebe, Günther Rudolf. Im Verlauf von ein bis drei Jahren, so Rudolf, hätte das Benzin die Brunnen des Wasserwerks erreichen können. Jetzt verhindere der Unterdruck, den die Absaugpumpen im Boden erzeugten, ein Weitersickern des Öls ins Grundwasser, versicherte Bodensanierer Hundenborn.
Glück im Unglück hat auch der Wind beschert, der am Freitag die Dunstglocke über Haselhorst rasch wieder verwirbelte. Vorsorglich hatte der französische Kommandant des Flughafens Tegel alle Starts und Landungen vom Unglücksort fortgelenkt. SPD-Mann Behrendt forderte deshalb vom Senat „zu prüfen, inwiefern Tanklager in der Einflugschneise des Flughafens Tegel und in der Nachbarschaft von Trinkwassergewinnungszonen auf Dauer akzeptabel sind“. Mangels Alternativstandort wollte Staatssekretär Groth gestern jedoch nur an ein „Reduzieren“ der Tanklager in Haselhorst denken.
hmt
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