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Wo wilde Meere hupfen

Achtung, das „Weltende“ kommt: Die zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte des Lyrikers Jakob van Hoddis sind in neuer Edition erschienen – Sprache im technischen Zeitalter

Der Lyriker Jakob van Hoddis war 1909 ein Mitbegründer des „Neuen Clubs“ in Berlin. Autoren wie Georg Heym, Else Lasker-Schüler und andere trafen sich im Rahmen des „Neopathetischen Cabarets“ zu Leseabenden, auf denen nicht nur eine neue Sprache zu hören war, sondern zugleich mit der bürgerlichen Welt gebrochen wurde.

Jakob van Hoddis, eigentlich Hans Davidsohn, wurde 1887 in Berlin geboren. Unter dem Titel seines größten Erfolges, des Gedichts „Weltende“, ist jetzt noch einmal jene Lyrik dieses Autors herausgekommen, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Der Band geht darüber hinaus auf die Verleger Franz Pfemfert („Aktion“) und Herwarth Walden („Sturm“) ein, die das junge Talent förderten.

Hoddis’ Berlin war eine wachsende Metropole – bedrohlich und anziehend zugleich. Der Kulturhistoriker Egon Friedell sagte 1913 über die Stadt, sie sei eine „moderne Maschinenhalle, ein riesiger Elektromotor“. Um die Zeit, als Hoddis’ „Weltende“ zum ersten Mal gedruckt wurde (1911), waren die Berliner Zeitungen voll von apokalyptischen Meldungen. Sie berichteten vom Erwarten des Halleyschen Kometen, der am Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal zu sehen war, über verheerende Stürme und mörderische Eisenbahnunglücke. In „Weltende“ heißt es, „Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.“ Und weiter: „Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.“ Ein ironischer Unterton ist in den Zeilen nicht zu überhören, er mag sich auch auf die hysterischen Zeitungsmeldungen beziehen. Doch war es nicht nur Hysterie, die sich in ihnen ausdrückte, Transportmittelkatastrophen gehören inzwischen zum Alltag, und sie waren – wie wir inzwischen wissen – keine Kinderkrankheiten der technischen Revolution.

Was dieses und seine anderen Gedichte so interessant macht, ist die Frage nach der Zeit, die sich beim Lesen stellt. Vielleicht ist die Entfernung zu jenem Industriezeitalter, als das Gedicht entstand, gar nicht so groß, wie es scheinen will. Zwar möchte diese Ära wie eine kurze Mode erscheinen, abgelöst von etlichen „Epochen“, wie dem Elektronik-, Informations- oder Wissenszeitalter. Doch sind wir nach wie vor von Technik umgeben, ja im Verhältnis zu Hoddis’ Zeiten hat sie sich sogar um ein Vielfaches potenziert. Der Unterschied ist allerdings: Die Technik von heute arbeitet geräuscharm und wird aufwändig kaschiert.

Aber schon bei Hoddis herrscht Uneindeutigkeit. In dem Gedicht „Varieté“ gibt es eine Passage über den Kinematographen, der als Fernseher heute in jeder Wohnung steht. Abgeschreckt heißt es, „Und in den dunklen Raum – mir ins Gesicht – / Flirrt das hinein, entsetzlich! nach der Reihe!“ In seinem Text „Italien“, der Bildungsreisen verhöhnt, scheint Hoddis allerdings die moderne Projektion dem bildungsbürgerlichen Lerneifer wiederum vorzuziehen, statt das Altertum zu bewundern sagt er, „Wir tranken Wein in Kinematographen, / Und krochen durch die Gärten und Paläste.“

Jakob van Hoddis stand am Anfang der technischen Explosion. Nun, knapp hundert Jahre später, könnte man sagen, der Faden wurde einfach weitergesponnen. Hoddis hat seine Texte für größere Zeitabschnitte geöffnet. Man empfindet eine Vertrautheit gegenüber dem Behandelten, manches kommt einem bekannt vor. Hat sich auch unsere Wahrnehmung der Technik durch Gewöhnung und Routine verändert, so ist doch die Verbindung zu den vorigen Generationen, als sie eingeführt wurde, nicht abgerissen.

KRISCHAN SCHROTH

Jakob van Hoddis: „Weltende – Die zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte“. Herausgegeben von Paul Raabe. Arche Verlag, Zürich, Hamburg 2001, 112 Seiten, 14,50 €

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