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Wo sind die Schleimer und Streichler?

Jedem Juden, jeder Jüdin sind sie wohl bekannt in diesem Land. Die Betroffenen, die Streichler, die Schleimer oder einfach ausgedrückt die Philosemiten. Die es sich nicht nehmen lassen, auf jüdischen Kaffeekränzchen den Bienenstich „für die liebenswerten jüdischen Mitbürger“ zu spendieren. Aus welchen Gründen auch immer, nicht bei jeden stoßen sie auf Ablehnung. Deutsche Liebhaber des jüdischen Wesens.

[...] Wie haben Sie über Jahrzehnte beteuert, was sie alles dazugelernt haben. Wie betroffen und erschüttert sie sind angesichts der „schrecklichen Ereignisse“. Aber wo sind diese Erscheinungen heute? Proben Sie für das Jahr 2010, wo sie auf türkischen Kaffeekränzchen (jüdische Überlebende wird man nicht mehr zulassen) Bienenstich spendieren?

Dann kann man wieder darüber nachdenken „wie hat es soweit kommen können...“ Das Ganze hat dann auch angenehme Seiten, es gibt Orden, so wie heute in der Bundesrepublik.

Orden, weil man Juden nichts zu Leide tut. Eine Belohnung dafür, daß man „nett“ ist. Das Wort menschlich wollen wir besser nicht mehr verwenden. Das muß alles so außergewöhnlich sein in diesem Land, daß man sich dafür Verdienstkreuze umhängen läßt. Dann entstehen Varianten, daß der Verleiher, sowie Empfänger schon hinter dem Kreuz herrannten, als noch Haken daran waren — macht nichts. Juden bekommen nämlich auch Verdienstkreuze. Wer es sich gefallen läßt, daß man freundlich zu ihm ist, muß doch belohnt werden. Es kann also theoretisch passieren, daß ein Nachfahre der Mörder von gestern einen Orden erhält, weil er dem Opfer von gestern nicht ans Leben will. Das ist wohl nur in Deutschland möglich.

Aber wo sind sie denn jetzt unsere Wohltäter? Ich vermisse offene Worte von diesen selbsternannten Menschenfreunden zu den Pogromen, die in Deutschland um sich greifen. Wo ist ihr Aufschrei? Ich will nicht, daß jemand den Arm um mich legt, es aber meinen türkischen und libanesischen Nachbarn verweigert. Das spart man sich dann für die nächste Katastrophe auf.

Ich erwarte eine aufrechte Stellungnahme gegenüber den Tätern, den Schweigern, den Mitläufern — keine Entschuldigungen. Totschlag, Mord, Brandanschläge, sind nicht entschuldbar — mit nichts. Hört auf uns das Lied vorzusingen: „die Menschen im Osten müssen erst lernen mit Fremden umzugehen.“ [...]

Es gibt keine Lehrzeit im Umgang mit Minderheiten. Macht das Euren Brüdern und Schwestern klar. Es kann keine Geduld für Übungsspiele dieser Art aufgebracht werden.

Ich könnte kotzen, wenn das Bürgersöhnchen von nebenan, in seinen Designer-Klamotten, unter unserem Fenster „Deutschland, Deutschland über alles“ gröhlt, oder mir die Vorzüge des KZs preist, meine Kinder den Spielplatz meiden müssen, weil er ihnen „Gas in die Nase pusten will“.

Ich lasse mich nicht mehr abspeisen mit „denn sie wissen nicht was sie tun“. Sie wissen was sie tun, die die schweigen und die die tun, alle! Leah Rauhut-Brungs, Bonn

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