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AusstellungskritikWo homosexuell draufsteht ist schwul drin

■ Die Ausstellung „Good by to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“ in der Akademie der Künste blendet nicht nur die Lesbengeschichte aus. Auch Sexismus gegen Frauen, Lesben und Schwule sowie schwuler Sexismus kommen nicht vor

100 Jahre Lesben good by – das wäre ein treffenderer Titel für die Ausstellung „Good by to Berlin? 100 Jahre Schwulenbewegung“ gewesen. Was derzeit in der Akademie der Künste zu sehen ist, blendet nicht nur die Lesbenbewegung aus. Die Ausstellung verdreht und verfälscht auch in sexistischer Manier. Statt der Forderung nach umfassender gesellschaftlicher Veränderung erschallt der Ruf nach männlicher Bürgerlichkeit auch für schwule Männer. Flugs wurde da – vielleicht sogar in eigens emanzipativer Absicht – das politisch altbackene Wort homosexuell in schwul übersetzt und als exklusiver Männerbegriff verstanden. Lesbisch- schwule Koexistenz und auch Zusammenarbeit wird kaum thematisiert oder gänzlich durch Verschweigen geleugnet.

Aber auch analytisch geht die Ausstellung haarscharf am Thema vorbei: Heterosexismus, Sexismus, aber auch Formen von Antisemitismus, Rassismus und kolonialistische Attitüden spielen in der historischen Aufarbeitung, kaum eine Rolle.

Erstes Beispiel: Kaiserreich und Weimarer Republik. Schwules Selbstverständnis in dieser Zeit ist ohne die Sexualwissenschaft undenkbar. Ein Teil der hier tätigen Wissenschaftler entwickelte Theorien in emanzipativer Absicht. Am bekanntesten wurde Magnus Hirschfeld, Dreh- und Angelpunkt seiner Theorie vom Dritten Geschlecht und später der Theorie der sexuellen Zwischenstufen war die Vorstellung von Homosexualität als Naturveranlagung. Schwule nahmen dieses Definitionsangebot an und begriffen ihre sexuelle Orientierung als angeboren; viele sahen sich als Drittes Geschlecht.

Und die Lesben? Auch für sie waren Veranlagungstheorie und die Idee eines Dritten Geschlechts zentrale Identifikationsmuster. Ganz im Gegensatz dazu heißt es im Austellungskatalog pointiert: „Das Dritte Geschlecht war immer nur ein Geschlecht von Männern.“ In der Ausstellung liest sich auch die Ausgrenzung von Frauen aus Organisationen als gleichsam natürliche Tatsache: Frauen wären im Männerverein Wissenschaftlich-humanitäres Komitee „immer nur eine einflußlose Minderheit geblieben“. Von den Ausnahmen, die hier unterschlagen wurden, einmal abgesehen, ist dieser Analyse ja durchaus zuzustimmen. Nur: Warum war das so? Vom Himmel ist die Schwulen-Dominanz ja wohl nicht gefallen.

Zweites Beispiel: Nationalsozialismus. Die Lebenssituation von Schwulen während der 12 Jahre totaler Herrschaft wird sehr eng nur unter dem Gesichtspunkt der Kriminalisierung durch den verschärften §175 und die damit verbundene Bedrohung durch KZ-Ermordung aufbereitet. Wären hier die Unterschiede in der Unterdrückung von Lesben und Schwulen zumindest im Hinterkopf geblieben, hätte die Analyse der Schwulenverfolgung fundierter ausfallen können.

Denn der Strafrechtsparagraph ist – mit drastischen Folgen – nur ein Ausdruck der nationalsozialistischen Herrschaftsideologien, auf der die Unterdrückung von Lesben und Schwulen basiert. Daneben gibt es aber die spezifische Umsetzung des nationalsozialistischen Sexismus: Der Ausschluß von Frauen aus dem öffentlichen Leben, ihr Verweis ins Private. Und dieser wendet sich verschiedenartig gegen Lesben, Frauen und eben auch schwule Männer.

Drittes Beispiel: BRD bis 1969. Auch die Aufbereitung der Nachkriegs- und Restaurationszeit zeichnet sich durch die Verengung des Blicks auf den Paragraphen aus. Daneben kommen nur noch Themen wie Jugendschutz und Sittenwidrigkeit zur Sprache. In der Tat ist die als Jugendschutz getarnte moralische Aufrüstung der BRD gegen alles Abweichende eine starke Waffe zur Zerstörung schwuler (und lesbischer) Kommunikationsnetze. Aber gerade in den fünfziger und sechziger Jahren hat Schwulenunterdrückung auch mit Geschlechterverhältnissen zu tun, mit Frauen- und Männerbildern und den dementsprechenden gesellschaftlichen Normen. Wieder setzen Politik und Mehrheitsgesellschaft auf natürliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Das Bundesverfassungsgericht urteilt 1957, „daß bei der Frau körperliche Begierde (Sexualität) und zärtliche Empfindungsfähigkeit (Erotik) fast immer miteinander verschmolzen sind, während beim Mann, und zwar gerade beim Homosexuellen, beide Komponenten vielfach getrennt bleiben“. Das Gericht folgert daraus: „So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen.“ Bedeutet die Nichtthematisierung dieser Zusammenhänge, daß die Macher der Ausstellung in solcher Ideologie keine Unterdrückung der Potentiale von Schwulen sehen können? Der Ausstellung fehlt wesentlich eine Erkenntnis: Daß die Unterdrückung von Frauen als Geschlecht wesentlich Grundlage der Unterdrückung von Schwulen als sogenannte verweiblichte Männer ist.

Viertes Beispiel: 70er Jahre. Auch für die politischen Aufbruchsjahre hält sich durchgängig das Homo-Theorem. Wo homosexuell draufsteht ist nur schwul drin! Folgerichtig gibt es keine Lesben mehr in der laut Ausstellungstext ersten Berliner Schwulendemo. Besonders peinlich ist die Ausblendung von Lesben auf der Bildunterschrift in Anbetracht ihrer visuellen Anwesenheit auf dem Demofoto; zu sehen ist sogar ein eigenes Transparent. Die Homosexuelle Aktion Westberlin, kurz HAW, gründete sich als Männergruppe 1971. Und die Frauen? In der Ausstellung heißt es: „Innerhalb der HAW hatte sich bald eine Frauengruppe gebildet, die sich aber stärker in der Frauenbewegung engagierte. Gemeinsame Aktionen und Arbeitsgemeinschaften lösten sich bald mangels Interesse und wegen Mißverständnissen wieder auf.“

Dagegen handelte es sich, als die Lesben der HAW den Schwulen die Zusammenarbeit aufkündigten, kaum um Mißverständnisse. Lesben erkannten, daß sie nicht nur schwul, sondern auch Frauen sind, und kehrten den schwulen Männern politisch den Rücken. Sie betonten, daß sie sich als Lesben mit Frauen identifizieren und auf das unterdrückte Geschlecht beziehen. Die HAW- Frauengruppe zog in eigene Räume und benannte sich um in LAZ – Lesbisches Aktionszentrum. Irene Beyer

Christiane Leidinger

Die Langfassung der Kritik erscheint im August/September in den Mitteilungen der Magnus- Hirschfeld-Gesellschaft

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