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Wo bitte ist das Problem?

KOMMENTAR

Wo bitte ist das Problem?

Schwerin und Wandsbek sind nicht mehr von Atomgranaten bedroht, Hamburg liegt wieder mitten in Europa, die Fahrräder werden besser, die Mehrwegwindeldienste perfekter und die CD- Player immer billiger. Wo also ist das Problem?

Wer auf einer, sagen wir mal grünsozialliberalen Ampelfete, seinen Small-Talk so einleitet, wird sofort schief angeguckt: „Naivling“ oder „Zyniker“ sind noch die freundlichsten Prädikate, die einem um die Ohren fliegen. Wir sind doch von Problemen umzingelt! Sie sind schon da: Asylmißbrauch, Rostock, klauende Zigeuner, Neonazis, Geburtenexplosion in Kenia.

Augen auf! Nachdem uns der Spiegel jahrelang mit Elendsbildern aus der Dritten Welt wohlige Schauer über den gut genährten Rücken gejagt hat, hilft er uns nun mit Georg Kronawitter, Henning Voscherau und Reportagen über die Tricks der Asylbetrüger dabei, den Problemen auf die Spur zu kommen. Doch der Spiegel hat Trost. Die Mahner und Umdenker sind unter uns.

Viele Sozialdemokraten und sogar manche Grüne sind dem Problem so dicht auf den Fersen, daß sie mit dem Asylmißbrauch auch gleich noch das Problem Neorassismus mit am Wickel haben. Schieben wir die illegale Flut dorthin zurück, wo sie hergekommen ist, dann trocknen wir auch die neue braune Suppe aus.

Diese Problemfinder und Problemlöser lassen sich, auch das ein Trost, von kleinen alltäglichen Problemem nicht behindern: Es juckt nicht, daß die von SPD und CDU geforderte Artikel-16- Änderung so grundgesetzwidrig ist, daß sie nicht einmal mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen werden kann. Es spielt keine Rolle, daß eine Gesetzesänderung die heute schon dominierende illegale Einwanderung überhaupt nicht stoppen kann. Es macht nix, daß am Ende nach aller historischen Erfahrung nur die Rechtsextremisten profitieren. Es ist piepegal, daß Hamburg wirtschaftlich dringend auf Einwanderung angewiesen ist.

Schließlich sind es nur naive Zyniker, die fantasieren, wir hätten keine Probleme, seien selbst das Problem. Sie salbadern, wir lebten in welthistorisch unvergleichlichem Wohlstand und nie dagewesener Freiheit, während ringsum Folter, Kriegstod und Hunger zunehmen. Sie sülzen, es sei ein Wunder, daß Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft verhungern, frieren und gefoltert werden, aber nur zu einem kleinen Teil zu uns flüchten.

Wir leben in einer Welt, die uns immer deutlicher zeigt, daß sie eine Welt ist. Und das ist gut so. Es bringt aber auch die Probleme dieser einen Welt zu uns. Wer dies nicht als Herausforderung begreift, sondern es - und sei es nur auf Zeit - wegdrücken will, hantiert vorsätzlich fahrlässig. Er legt die Lunte ans Pulverfaß Zukunft. Hier liegt das Problem. Florian Marten

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