: Wo auch in Nicaragua die Pressefreiheit aufhört
Im Januar 1988 schaffte die sandinistische Regierung die Vorzensur ab / Doch immer wieder kommt es zu Maßregelungen - auch gegen prosandinistische Medien zum Beispiel wegen „Rechtfertigung von Gewalt“ oder wegen Sexismus / Die oppositionelle 'La Prensa‘ lügt wie gedruckt ■ Aus Managua Ralf Leonard
Nicaragua sei das „einzige kriegsführende Land“, sagte Hans -Jürgen Wischnewski einmal, „wo der Kriegsgegener eine Zeitung unterhalten darf“. Der deutsche Sozialdemokrat und Berater der Sandinisten mag wohl recht haben. Die Pressefreiheit ist im mittelamerikanischen Staat trotzdem wieder ein Thema. Im Juli eurde 'La Prensa‘, die Zeitung der Kriegsgegner, wegen „Rechtfertigung der Gewalt“ für 14 Tage geschlossen. Einige rechtsgerichtete Radios dürfen vorübergehend keine Nachrichten mehr senden. Und zuletzt traf nun der Bannstrahl des Innenministeriums sogar prosandinistische Medien. In Fällen, die in Europa ein gerichtliches Nachspiel wegen Verleumdung oder übler Nachrede hätten, schreitet in Nicaragua das Innenministerium ein.
Luis Cabrera, der das morgendliche Unterhaltungsprogramm „En Directo“ des FSLN-eigenen Senders Radio Sandino leitet, ist für seine lockere Klappe bekannt. Als er jüngst der Verlegerstochter und stellvertretenden Direktorin von 'La Prensa‘, Cristiana Chamorro, Liebschaften mit Somoza -Offizieren unterstellte, schritt die sogenannte „Mediendirektion“ ein: „En Directo“ mußte zwei Tage schweigen. Am 5.August traf es die humoristische 'Semana Comica‘. Das Wochenblatt, das von Roger Sanches, Cartoonist des offiziellen FSLN-Organes 'Barricada‘, geleitet wird, hat vor niemandem Respekt, außer vor der sandinistischen Führung. Bis zu einem Streit mit der sandinistischen Frauenorganisation AMNLAE im vergangenen März hatte Roger sich vorwiegend in anzüglichen Witzen auf der letzten Seite ausgetobt. Als 'Semana Comica‘ anläßlich des internationalen Frauentages ein Foto aus einem Sex-Magazin brachte, auf dem sich ein Modell das Schamhaar rasiert, erwirkte AMNLAE ein 14-tägiges Erscheinungsverbot. Seither wird die satirische Wochenschrift zunehmend mit Playboy-Bunnies aufgepeppt. „Unser Ziel war niemals eine keusche Gesellschaft - so sozialistisch sie auch sein möge“, heißt es im jüngsten Editorial, „denn wir glauben, daß die Keuschheit das schlimmste Verbrechen wider die Natur ist.“ Daneben wird provokant - zur Wahl einer Miss Nicaragua aufgefordert und AMNLAE gezielt verarscht. Die sandinistischen Frauen, sonst nicht gerade die Avantgarde im Kampf gegen den Machismo, liefen prompt zur Zensurstelle und setzten das unbefristete Erscheinungsverbot durch. Eine PorNo-Diskussion findet in Nicaragua nicht statt.
Seit Daniel Ortega zu Jahresbeginn im Rahmen des Friedensplanes von Guatemala den Ausnahmezustand aufgehoben hat, gibt es keine Vorzensur mehr. Jede Maßnahme gegen ein Pressemedium muß sich also auf ein Gesetz stützen. Im Falle der 'Semana Comica‘ ist es ein Dekret aus den ersten Revolutionsjahren, das die Diskriminierung und kommerzielle Verwertung der Frau als Sexobjekt unter Strafe stellt. Im Allgemeinen ist es das provisorische Mediengesetz, das unter anderem persönliche Verunglimpfung und Verbreitung von Falschmeldungen verbietet. Gegen dieses Gesetz läuft die Rechtspresse Sturm. Jose Castillo Oseja, Direktor von „Radio Corporacion“ findet es verfassungswidrig. Aber Rodolfo Robelo, ein Dissident der Unabhängigen Liberalen Partei und ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof, argumentiert, daß lediglich jener Passus gegen die Verfassung verstoße und daher automatisch aufgehoben sei, der von Vorzensur spricht.
Im Mai beschlossen mehrere Oppositionspolitiker - von der Konservativen Partei bis zu den Kommunisten -, gemeinsam mit den Radiodirektoren eine Kommission zur Wahrung der Pressefreiheit einzurichten. Das Gremium war nicht mehr in Erscheinung getreten, vielleicht weil eines der Mitglieder, das nachweislich im Sold der CIA stand, sich inzwischen in die USA abgesetzt hat. KP-Chef Eli Altamirano, der sich mit den Rechten verbündet hat, bekam damals Bauchschmerzen, als der Umgang der Sandinisten mit der Presse als „typisch kommunistisch-totalitär“ gegeißelt wurde: „Nach dem Sieg des Bolschewismus war es notwendig, der Bourgeoisie die Freiheit der Meinungsäußerung zu nehmen.“
Anlaß für die kuriose Versammlung war die Drohung des Innenministeriums, das provisorische Mediengesetz anzuwenden. Lisette Torres, Chefin der „Mediendirektion“, hatte die Rundfunkverantwortlichen zu sich zitiert, um ihnen die Existenz des Gesetzes in Erinnerung zu rufen. Außerdem verbat sie sich den Ausdruck „Guardia“ für sandinistische Polizei oder Soldaten und die Bezeichnung „Rekrutierungskommandos“ für die Militärpolizei, die die Drückeberger und Wehrdienstverweigerer aufspürt. „Radio Corporacion“, das der Konservativen Partei nahesteht, hatte die Armee als „Haufen von Mördern, Dieben und Lesbierinnen“ beschimpft.
Nicaragua zwar eine lange journalistische Tradition, doch „die lateinamerikanische Presse kann nicht mit der europäischen verglichen werden“, erklärt ein Kolumnist des prosandinistischen 'El Nuevo Diario‘. Man bemühe sich nicht um den Anschein der Objektivität, wo es um ein politisches Ziel gehe. Politisch neutrale Sender, die keiner Seite zugeordnet werden können, gibt es praktisch nicht.
Daß 'Barricada‘ als sandinistisches Parteiblatt die Opposition grundsätzlich lächerlich darstellt, mag verständlich sein. Doch wie dieselbe Zeitung, die vor wenigen Wochen noch Razzien gegen Spekulanten bejubelt hatte, jetzt die Segnungen der neuen Wirtschaftspolitik preist: - „Keine Schlangen mehr in den Supermärkten und zahlreiche Sonderangebote“ - ist auch eingefleischten Sandinisten peinlich. Denn hat bisher Knappheit geherrscht, so verschimmeln seit den radikalen Preiserhöhungen im Juni Fleisch und Gemüse, weil keiner die Preise zahlen kann.
Auch 'El Nuevo Diario‘ ist nicht zimperlich. Seit ein reaktionärer Priester vor ein paar Wochen zum Gebet für Ronald Reagan aufgerufen hat, reitet er eine recht krude Kampagne gegen den konservativen Klerus. Den Gipfel an gezielter Manipulation bietet aber sicherlich 'La Prensa‘, die vor ein paar Monaten von der konservativen „Interamerikanischen Pressegesellschaft“ für ihr „hohes journalistisches Niveau“ ausgezeichnet worden ist.
Da wird z.B. der Brief eines kranken Häftlings abgedruckt, der wegen schlechter Behandlung in Hungerstreik tritt. Wenige Tage später stellt sich heraus, daß den Brief ein anderer im Namen des Kranken geschrieben hat, der nicht nur nicht streiken will, sondern außerdem vor der Entlassung wegen Haftuntauglichkeit steht.
Ende Juli wurde in San Rafael del Sur ein Mann von der Polizei getötet. Er hatte die Polizisten, die seinen Sohn wegen Viehdiebstahls abführen wollten, mit der Machete attackiert. In 'La Prensa‘ las sich das etwa so: Polizei erschießt Greis, dessen Sohn nicht zum Militär will.
'La Prensa‘ operiert bevorzugt mit der Angst vor dem Kommunismus. „Sowjetische U-Boote in Corinto“ lautete die Balken-Überschrift am 7.Juli, illustriert durch ein Archivfoto. Dann wird ein Artikel des 'Miami Herald‘ über einen Bericht des Pentagon zitiert, in dem behauptet wird, der nicaraguanische Pazifikhafen Corinto hätte die Kapazität, sowjetische Atom-U-Boote aufzutanken. Dies bereite den Strategen in Washington Sorgen.
Vor wenigen Tagen wurde das Passagierschiff „Mision de Paz“ auf dem Weg zum Atlantikhafen Bluefields attackiert. Zwei Passagier wurden getötet, 27 weitere, darunter ein US -amerikanischer Baptistenpfarrer, verletzt. An derselben Flußbiegung hatte die Contra schon dreimal vorher Hinterhalte gelegt. 'La Prensa‘, die sich sonst nie zu Contra-Überfällen äußert, widmete dem Vorfall diesmal ein Editorial mit der These, es müssen wohl die Sandinisten dahinter stecken, die die Debatten im US-Kongreß in ihrem Sinne beeinflussen wollen: „Sollte es denn möglich sein, daß die militärischen Kräfte der Aufständischen soweit geschwächt sind, daß sie zum Terrorismus Zuflucht suchen?“
'La Prensa‘ zehrt auch in liberalen Kreisen noch immer von dem Prestige, das es sich - zu recht - während der Somozazeit erworben hat. Nicht zufällig wurde das Redaktionsgebäude 1978 von der Nationalgarde in Schutt und Asche gelegt. Deswegen hat es manche noch erstaunt, als 'La Prensa'-Chefin Violeta Chamorro den Somoza-Offizier Enrique Bermudez umarmte, als die Contra-Führung im Mai zu Verhandlungen in Managua war. Bei der ersten Verhandlungsrunde brachte 'La Prensa‘ das Kunststück fertig, den Delegationsleiter der Contras, Adolfo Calero, gleich fünfmal abzubilden, davon dreimal auf der Titelseite. Kein Wunder: zuletzt ist selbst in einem Kongreßausschuß in Washington zur Sprache gekommen, daß 'La Prensa‘ - nebst anderen Oppositionsgruppen - über die CIA-nahe Stiftung „National Endowment for Democracy“ mit Regierungsgeldern gespeist wird.
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