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Wo El Salvador wie Phönix aus der Asche steigt

■ Ein verlassenes Dorf im Kriegsgebiet erwacht zu neuem Leben / Von der Armee vertriebene Bauern kehrten unter dem Schutz von Geistlichen und der internationalen Presse in ihr Dorf zurück / Auch die Regierung und die Armee haben ein Rückkehrprogramm gestartet - allerdings mit mäßigem Erfolg

Aus El Barillo Ralf Leonhard

Für viele Bauern in den Kriegszonen El Salvadors ist die Guerilla der „Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti“ (FMLN) die anerkannte Obrigkeit, die Schutz gewährt, Recht spricht und Abgaben fordert. Die Guerilleros auf dem Guazapa–Vulkanmassiv, kaum 30 Kilometer nördlich der Hauptstadt, sind traditionell von den Bauern der umliegenden Weiler ernährt worden, die von der Armee genauso als Feind behandelt wurden wie die bewaffneten Rebellen. Hunderte starben unter den Bomben der Luftwaffe oder durch die Hand von Soldaten. Anfang 1986 änderte die salvadorianische Armee auf den Rat der US– amerikanischen Militärstrategen hinihre Vorgehensweise in der Operation Phoenix - die nach einem gleichen gescheiterten Projekt in Vietnam benannt war - versuchte sie, „den Fisch trockenzulegen“: die für die Guerilla unentbehrliche Zivilbevölkerung abzuziehen. Im Rahmen eines von der Regierung und Armee mit US– Geldern organisierten Programms „Vereint für den Wiederaufbau“ sollen nun die evakuierten Bauern neu angesiedelt werden - unter Kontrolle der Armee. Die wenigsten können sich für diese Idee begeistern. Doch zurück wollen sie, die jetzt in engen Flüchtlingslagern hausen, alle. Aber nur ganz wenigen Gemeinschaften ist es bisher gelungen, auf eigene Faust und gegen den Widerstand der Armee in ihre Dörfer zurückzukehren. „Wir überlebten in Erdlöchern“ In die Wände des holprigen Hohlwegs sind kleine Höhlen eingelassen, gerade groß genug für eine zusammengepferchte Familie, und aus der Luft nicht zu entdecken. „Hier pflegten wir abzuwarten, bis die Luftangriffe der Armee vorüber waren. Bei Großoffensiven verbrachten wir bis zu zwei Wochen in diesen Löchern“, erzählt eine Fünfzehnjährige, der die Zeiten der Verfolgung noch lebhaft in Erinnerung sind. Hinter der nächsten Kurve erhebt sich bereits der Schlagbaum, der zum Stop für die letzte Kontrolle zwingt. Ein junger Soldat, der sich mit dem Lesen noch etwas schwer tut, prüft die Papiere und fragt sicherheitshalber per Sprechfunk noch im Hauptquartier nach, ob die Fremdlinge sich überall ordnungsgemäß gemeldet haben. Dann hebt sich die Schranke und öffnet den Weg ins Dorf El Barillo. Äußerlich unterscheidet sich El Barillo nicht von anderen Weilern im nördlichen El Salvador, wo die Bauern in windschiefen Hütten über gestampftem Erdboden hausen, dem trockenen Boden die zum Überleben notwendige Menge an Mais und Bohnen abringen und nachmittags in der Hängematte Siesta halten. Halbnackte Kinder laufen lärmend zusammen, wenn jemand von draußen ankommt. Denn obwohl Suchitoto, die nächste Stadt, kaum zehn Kilometer entfernt ist und selbst die Hauptstadt San Salvador in wenigen Stunden erreicht werden kann, sind Besucher selten. Wer El Barillo besuchen will, muß zuerst beim Generalstab ein Erlaubnisschreiben beantragen, das vom Generalstabschef Adolfo Blandon persönlich unterzeichnet wird. Aber auch dieser Geleitbrief hat keine Gültigkeit, wenn er nicht zusätzlich von Oberst Leopoldo Hernandez, dem Kommandanten der für die Region zuständigen 1. Infanteriebrigade, abgesegnet wird. Auf der Straße zu der nur 50 Kilometer nördlich von San Salva dor gelegenen Kreisstadt Suchitoto wachen zwei Armeeposten darüber, daß kein Unbefugter in die militarisierte Zone vordringt. Obwohl die Armee behauptet, das Gebiet um das Guazapa–Vulkanmassiv unter Kontrolle zu haben, läßt sie jedes Fahrzeug auf Nahrungsmittel untersuchen, die für die Rebellen bestimmt sein könnten. Die Counterinsurgency entdeckt die Herzen „Unser Leidensweg begann im Jahre 1980“, erzählt Dimas Casco, ein hagerer, schnurrbärtiger Campesino, der Chef der Kooperative von El Barillo. In der wortkargen Art der Bauern umreißt er die Hintergründe des Konflikts: die rechtsgerichteten Todesschwadrone begannen damals, als die linken Massenbewegungen aus der Stadt auch in der Provinz Einfluß gewannen, Leute umzubringen, die politisch suspekt waren. Und das waren in der Gegend fast alle. Nach der Großoffensive der Guerilla Anfang 1981 begann die Armee im großen Stil gegen jene Gemeinden vorzugehen, die zum Sympathisantenpotential der Rebellen gerechnet wurden. „Wir konnten die Felder nicht mehr bestellen, denn jedesmal, wenn die Flugzeuge und Hubschrauber kamen, mußten wir alles liegen und stehen lassen.“ Ein Bombenkrater mitten im Dorf zeugt heute noch von den Verheerungen, die die Luftwaffe anrichtete. „Hier wurden 14 Frauen und Kinder von der Bombe getötet“, erzählt Valentin, der Vizepräsident der Genossenschaft. Die meisten Dorfbewohner zogen weg und die wenigen, die blieben, konnten sich kaum selbst ernähren, geschweige denn, die Guerilleros auf dem nahegelegenen Guazapa–Berg mit Nahrung versorgen, wie die Soldaten behaupteten. Das Versteckspiel mit der Armee fand Anfang des Jahres 1986 ein Ende, als die Streitkräfte im Guazapa–Gebiet zur Großoffen sive „Phoenix“ ansetzten, die weniger die Vernichtung der Guerilla als die Evakuierung der sympathisierenden Zivilbevölkerung zum Ziel hatte. „Vierundzwanzig Tage hielten wir uns verborgen, dann konnten die Kinder nicht mehr, und wir ergaben uns der Armee“, berichtet Dimas. Zu ihrer Überraschung wurden die Bauern nicht umgebracht, sondern nach San Salvador gefahren. „Wir haben früher Fehler gemacht“, sollen die Soldaten gesagt haben und bezogen sich damit auf die Zeit, als die physische Liquidierung jedes Verdächtigen als geeignetstes Mittel der Aufstandsbekämpfung betrachtet wurde. Inzwischen ist es den Militärberatern aus den USA gelungen, die Devise „die Herzen und Seelen der Menschen gewinnen“ durchzusetzen. Auf dem Weg zur Selbstversorgung Die Evakuierten wurden in den Flüchtlingslagern des Erzbistums „San Jose Calle Real“ und „Domus Mariae“ untergebracht, wo sie von Anfang an darüber nachdachten, wie sie möglichst bald wieder wegkommen könnten. Den Campesinos, die an die Weite der freien Natur gewöhnt sind, schlägt das zusammengepferchte Dasein aufs Gemüt. „Außerdem verlernt man das Arbeiten, wenn man von anderen durchgefüttert wird“, fügt Valentin hinzu. Eine vom Christlichen Vertriebenenkomitee CRIPDES damals ins Leben gerufene Koordinierungsstelle für Rücksiedlungen (CNR) wußte Rat: in Begleitung von mehrheitlich nordamerikanischen Geistlichen und Ordensleuten und eskortiert von der internationalen Presse marschierten die Bauern von El Barillo Mitte Juli in ihr Heimatdorf zurück. Vor Suchitoto wartete allerdings die Armee: Generalstabschef Blandon war höchstselbst erschienen, um die Marschierer aufzuhalten. Erst die Intervention von Erzbischof Rivera y Damas ebnete schließlich den Weg. Zähneknirschend gaben die Soldaten den triumphierenden Bauern den Weg frei. Die ausländischen Geistlichen wurden jedoch wegen „Einmischung in die inneren Angelegenheiten El Salvadors“ des Landes verwiesen. „Wir sind noch immer allen möglichen Schikanen ausgesetzt“, seufzt Valentin, der kürzlich mit einer kompletten Lastwagenfuhre Bauholz in die Hauptstadt zurückgeschickt wurde, weil die Gültigkeit des Erlaubnisschreibens abgelaufen war. Für jedes Material und jede den Bedarf einer Person übersteigende Menge an Nahrungsmitteln muß eine Genehmigung eingeholt werden. Dennoch ist es den Bauern gelungen, für jede der achtzig Familien ein Haus und eine Latrine zu errichten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Material und Know–How beigesteuert, aber die Aufbauarbeit haben die Genossenschafter von El Barillo selbst geleistet. Außer den unentbehrlichen Grundnahrungsmitteln Mais und Bohnen haben die Campesinos bereits Wassermelonen, Sesam, Tomaten und anderes Gemüse angebaut. Außerdem ist es gelungen, zehn von ursprünglich 25 Bienenstöcken wieder herzurichten und zu aktivieren. „Dieses Jahr hatten wir zuwenig Zeit vor Beginn der Regenzeit, aber nächstes Jahr wollen wir uns bereits selbst versorgen können“, berichtet Valentin stolz. Aguacayo - ein Geisterdorf Wen mag es verwundern, wenn aus den Flüchtlingslagern massenweise Anträge um Aufnahme in die Kooperative von El Barillo kommen. „An uns liegt es nicht, wenn niemand mehr kommt, sondern am Generalstab“, erläutert Dimas, der stolz darauf ist, daß sein Projekt offensichtlich weit attraktiver ist, als das im benachbarten Aguacayo. Das 1981 verlassene Geister dorf Aguacayo, auf halbem Weg zwischen El Barillo und Suchitoto, wird im Rahmen des staatlichen Wiederbesiedlungsprogramms „Vereint für den Wiederaufbau“ hergerichtet. Unter der Aufsicht eines Beamten des Innenministeriums und eines Vertreters des Counterinsurgency–Programms CONARA sind dort ein paar Männer damit beschäftigt, einzelne Ruinen wieder bewohnbar zu machen. Sie gehören selbst zu den Rückkehrwilligen und bekommen für ihre Arbeit von der Regierung ein Gehalt aus dem Fonds der staatlichen US–amerikanischen Agentur für Internationale Entwicklung (AID). Anders als in El Barillo, wo jede Lieferung von Baumaterial durch bürokratische Hindernisse erschwert wird, bekommen die Leute in Aguacayo ihre Ziegelsteine zugestellt. Bisher haben jedoch erst sechs Familien ihre Rückkehr zugesagt, bestätigt Juan Javier Leyva, der Gemeindevertreter. Die meisten ehemaligen Bewohner von Aguacayo, die ihren Lebensunterhalt traditionell mit der Herstellung von Süßigkeiten verdienen, haben inzwischen in San Salvador oder anderen Städten Fuß gefaßt. Hergerichtet werden daher just jene sechs Häuser, die von den Rückkehrwilligen vor fünf Jahren im Stich gelassen wurden. Dazwischen erheben sich von dichter Vegetation überwucherte Ruinen, aus denen die Soldaten jeden brauchbaren Balken als Brennholz herausholen. Das von Staat und Armee vorangetriebene Programm „Vereint für den Wiederaufbau“ hat in der Koordinierungsstelle für Rücksiedlungen (CNR) eine harte Konkurrenz. Deswegen beschuldigen die Militärs das Komitee, mit der „Subversion“, wie die Guerilla im amtlichen Jargon heißt, zusammenzuarbeiten, mehrere Mitglieder wurden verhaftet. Trotzdem kann sich die CNR, die Flüchtlinge mit Hilfsgütern und Rechtsbeistand betreut, rühmen, zwei erfolgreiche Rücksiedlungen von Vertriebenen organisiert zu haben: El Barillo im Departement Cuscatlan und San Jose de las Flores in Chalatenango. Die nächste Aktion, die wieder durch Begleitung aus dem Ausland abgesichert werden soll, ist bereits geplant, diesmal im Departement La Paz im Südosten des Landes. Trotz bescheidener Mittel haben die Campesinos in El Barillo bereits ein Modell geschaffen. Ein ehemaliger Getreidespeicher wird gerade zur provisorischen Schule umgebaut, und ein von der Kooperative betriebener Laden bietet die in der Hauptstadt erworbenen Artikel so günstig an, daß selbst die Soldaten ihre Zigaretten gern hier einkaufen. „Wir sind völlig neutral“, beteuert Valentin, dem es noch etwas Schwierigkeiten bereitet, die von den Umständen diktierte neue Politik zu vertreten: „Wir unterstützen weder die eine noch die andere Seite“. Dieser Position haben die Bewohner von El Barillo zu verdanken, daß sie von der Armee weitgehend in Ruhe gelassen werden. Ab und zu wird noch einer von Soldaten verhaftet, die den Schwenk in der Behandlung der Bauern nicht verdaut haben. Aber die meisten kommen wieder frei, sobald ein Offizier interveniert. „Flugzeuggeräusche verbreiten keine Hysterie mehr“, versichert Dimas. Er läßt aber durchblicken, wo seine Sympathien liegen, wenn er besorgt hinzufügt: „Auf dem Guazapa ist erst gestern wieder bombardiert worden.“

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