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Witz 'n‘ Rock 'n‘ Roll

■ Der Rockzirkus Gosh präsentiert auf dem Schlachthof Artistik (yeah, yeah, yeah)

Zirkus und Variete liegen in den letzten Zügen. Mit jonglierten Bällen oder Akrobatik kann man kaum noch jemanden hinter dem Fernseher hervorlocken. Roncalli hat noch einen Dreh gefunden und den Zirkusgeruch romantisiert, aber Akrobaten, die dort nicht unterkommen, müssen sich etwas einfallen lassen.

Die sieben Artisten und fünf Musiker der Berliner Gruppe Gosh haben ihre Idee, Zirkus und Rockkonzert zu vermischen, so erfrischend und witzig in Szene gesetzt, daß der Kritiker vom Tip gleich den „neuen Zirkus der neunziger Jahre“ ausmachte. Das schreiben nun alle Kollegen ab, und in diese Reihe füge ich mich gerne ein.

Zuerst geraten sich da Musiker und Artisten ganz gehörig in die Haare, weil jeder die Bühne für sich haben will. Eine Schwärmerseele in Knickerbockern unterbricht mit seinem Frühlingsgedicht den Rocksong, und dann krabbelt auch gleich eine Punkausgabe von Pippi Langstrumpf auf seine Schultern und stützt sich zum Handstand auf seiner Glatze ab. Die Band singt „Get Out

Get Out“, aber das hilft ihr auch nicht viel weiter. Die Jongleursnummer kommentieren sie dann ebenso einleuchtend wie unanständig mit dem Song „He's got big balls“.

Keine Nummer wird straight durchgespielt - immer unterbrechen, verändern oder sabotieren die anderen die Anstrengungen des vorführenden Künstlers. Langsam entwickeln sich dabei die Charaktere, und durch diese Typisierung wird der Bogen geschlagen, der die einzelnen Nummern verbindet: Der Jongleur ist ein genialistischer Zappelphilipp mit wehender Mähne, der Gitarist ein mutwilliger Störenfried mit dreckiger Lache, die Saxophonistin die verruchte Brünnette in kurzem Kleid.

Das artistische und musikalische Können wird locker aus dem Handgelenk geschüttelt, und

wenn die Bälle mal runterfallen, ist nie ganz klar, ob der Patzer nicht doch inszeniert war. Bei der pantomimischen Zaubervorführung gingen zum Beispiel alle Tricks perfekt in die Hose, und die Luftakrobatinnen sahen sehr grazil aus, als sie verzweifelt um ihre Balance kämpften, weil die Männer nicht einmal das Trapez richtig hochziehen konnten.

Die Musik schwappt mit viel Augenzwinkern vom Rock über Mozart zum Tango, und das Gipsbein des Bassisten läßt ahnen, daß es nicht ohne Risiken abgeht, wenn man versucht'den Akrobaten die Bühne streitig zu machen. Die haben sie sich mit ihrem Konzept und viel jugendlichem Esprit zurückerobert. Zirkus isn't dead, but it sounds funny. Wilfried Hippe

Schlachthof bis zum 12. 8. täglich außer Montags um 20.30 Uhr

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