piwik no script img

Witten kann von Korea lernen

■ Die Bremer Kompositions-Professorin Younghi Pagh-Paan bekam in Witten Beifall für ihr neues Werk „SOWON/Wunsch“

Zwar war die Bremer Kompositionsprofessorin Younghi Pagh-Paan mit ihrem Auftragswerk für die Wittener Tage für Neue Kammermusik nicht ganz fertig geworden, aber die Uraufführung des ersten Teiles von „SOWON/Wunsch“ für Sopran und zehn InstrumentalistInnen läßt Aufregendes ahnen. Pagh-Paan, die seit zwei Jahren in Bremen lehrt, ist eine der wenigen KomponistInnen, die einen radikalen avantgardistischen Anspruch mit einem extremen, stets ganz persönlichen Ausdruckswillen verbinden. „SOWON/Wunsch“ liegen Texte von Rose Ausländer, Louize Labé, H.C.Artmann und Anna Achmatowa zugrunde, die sich mit der Tatsache der Vergänglichkeit und der Utopie der Liebe beschäftigen.

Mit jedem ihrer Stücke scheint sich Younghi Pagh-Paan mehr den Wurzeln ihrer Heimat zu nähern: „Ich möchte mich auf eines verlassen können: daß ich keine Musik schreiben werde, die mich von dem entfernt, was mir als Wurzel unserer Kultur bis heute innewohnt“, sagte die Komponistin. Das schlug sich bisher in der ständigen Auseinandersetzung des Eigenen und des Fremden und kompositionstechnisch in der Verwendung koreanischer Musiktechniken nieder: Vieles ist verändert. So zum Beispiel der Rhythmus, der die Funktion der Artikulation der Melodie hat, die Harmonik, die nicht für sich steht, sondern das Ergebnis horizontaler Linien ist, des Einzeltones, der im Gegensatz zur europäischen Musik ein bewegtes Eigenleben führt. Mit SOWON/Wunsch geht die 50jährige Komponistin noch einen Schritt weiter: der Wunsch nach Selbstbestimmung, nach der Findung des inneren Raumes in einer bedrohenden Welt wird allein über die Auswahl der Gedichte zum Thema selbst.

Im Zentrum steht mit dem um die Vergänglichkeit kreisenden Text von Rose Ausländer ein ungemein intimer Dialog der Sopranstimme mit der Bratsche, Symbol für den geschaffenen und durchgesetzten Innenraum. Aus dem trauernden und reflektierenden Gestus erwächst die auch klanglich realisierte Utopie mit aller Skepsis: „Ne Ma-Um“ – Mein Herz – heißt es am Ende wie am Anfang. Aus dem wankenden Tritonus des Anfangs ist am Ende die sichere Quart geworden. Die Wiedergabe durch das Nieuw Ensemble Amsterdam und der Sopranistin Charlotte Riedijk fehlte es letzlich noch an Souveränität. Doch es gab viel Beifall für eins der herausragenden Stücke von Witten 1996.

Und sonst? Die Wittener Tage für Neue Kammermusik wollen seit fast dreißig Jahren neueste Kompositionen vorstellen. Doch dieses Jahr reihte sich eine Beliebigkeit an die andere, bis hin zu den neoklassizistischen und neoexpressiven Alterswerken des 1904 geborenen Goffredo Petrassi und Eliott Carter (geboren 1908). Hervorragende Interpreten, darunter Michael Rießler, das Freiburger Ensemble Recherche und das Londoner Arditti-Quartett, konnten fehlende kompositorische Qualitäten selten überspielen. So wurde ein uraltes Stück von Mauricio Kagel, „pandorasbox“ für Bandoneon (1960) zu einem originellen Mittelpunkt, auch durch die witzige und überlegene Interpretation durch Michel Portal.

Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen