Wirtschaftshistoriker über Coronafolgen: „Die Konsumwelt wird flexibler“

Werden unsere Gewohnheiten durch die Pandemie nachhaltiger? Frank Trentmann bezweifelt das, sieht aber auch positive Entwicklungsmöglichkeiten.

Menschenleere Einkaufsstraße in Schwerin

Schweriner Einkaufsstraße im Januar: Wie sich die Innenstädte nach Corona entwickeln, ist noch offen Foto: Jens Büttner/dpa

taz: Herr Trentmann, seit einem Vierteljahr sind die Geschäfte dicht. Diese Pandemie wird sicherlich Spuren hinterlassen. Wie wird sich unser Konsumverhalten verändern, wird es womöglich sogar nachhaltiger?

Frank Trentmann: Nur weil wir mehr zu Hause sind, heißt das nicht, dass wir deswegen nicht mehr konsumieren. Der Umsatz von Spielekonsolen, Laptops und Geräten fürs Home-Entertainment und fürs Kochen ist in die Höhe geschossen. Und diese Art des Konsums ist alles andere als nachhaltig. Die riesigen Server, auf die die Nutzer beim Digital Consuming zugreifen, haben einen enormen Energieverbrauch. Was die Pandemie sicherlich beschleunigt hat: die Hinwendung zum Onlineshopping.

Diese Entwicklung gab es vorher doch auch schon.

Das ist richtig. Doch im europäischen Vergleich hinkte Deutschland hinterher. In anderen europäischen Ländern haben die Menschen schon vor der Pandemie online auch Lebensmittel bestellt. Das machten nur wenige Deutsche. Ein Grund ist sicherlich, dass die Kultur der Risikovermeidung in Deutschland sehr ausgeprägt ist. Die Angst, dass einem im Netz sofort alle persönlichen Daten gestohlen werden und man Betrügern ausgesetzt ist, ist in Deutschland besonders verbreitet. Damit verbunden ist das gesamte Geldwesen. Wenn Deutsche an Geld denken, fallen ihnen Scheine und Münzen ein. Damit sind sie vertraut.

Das dürfte sich nun geändert haben. Online lässt sich schließlich nicht mit Bargeld bezahlen.

Frank Trentmann, 55, ist deutscher Historiker und Professor für Geschichte am Birkbeck College der Universität London. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte des Konsums.

Ja, wenn es nun im Lockdown nur die Möglichkeit gibt, entweder online oder gar nicht shoppen, lassen sich viele darauf ein. So groß ist die Konsumlust dann doch. Und wenn ich auf den einschlägigen Handelsplattformen erst einmal ein Konto eingerichtet und verstanden habe, wie das funktioniert, ist auch das Misstrauen weg. Die Hemmungen und technischen Hürden beim nächsten Mal sind sehr viel geringer.

Diese Entwicklung dürfte auf Kosten der Innenstädte gehen.

Einige Wirtschaftsexperten meinen zwar, nach der Pandemie werde es in den Innenstädten wieder so aussehen wie vor der Krise. Ich bezweifle das. Laut Umfragen geht ein Drittel der Arbeitgeber davon aus, dass eine Mehrzahl der Arbeitnehmer, die jetzt im Homeoffice ist, auch nach der Pandemie im Homeoffice bleiben werden. Die Innenstädte bekommen damit einen doppelten Kinnhaken versetzt. Wenn die Büros in den Innenstädten halb leer sind, heißt das auch, dass Restaurants, Bars und Cafés in den Innenstädten halb leer sein werden. Ganz klar: Verlierer der Pandemie sind die Kettengeschäfte in den Innenstädten und Einkaufszentren.

Und das schon häufig vorausgesagte Ende der Warenhäuser wird nun auch real?

Die großen Warenhäuser haben fast jedes Jahrzehnt Krisen erlebt. Mit einem „Weiter wie bisher“ werden sie sicherlich nicht überleben. Sie müssen sich neu inszenieren und neue Attraktionen entwickeln. Für unmöglich halte ich das aber nicht.

Ist es nicht traurig, wenn die Innenstädte veröden?

Historisch gesehen ist es keineswegs so, dass die Innenstädte immer voller Kettengeschäfte waren. Es gab ständig ein Auf und Ab. Diese Ketten dominierten ja nur deswegen, weil in den Innenstädten die Mieten so hoch waren. Kleine Geschäfte konnten sich nicht halten, außer wenn sie wie in einigen Nachbarländern durch Regulationen geschützt waren. Wenn jetzt die Mieten fallen, eröffnet das kleinem Gewerbe neue Möglichkeiten. Womöglich werden die Innenstädte sogar wieder vielseitiger. Ein Teil des Konsums wird sich lokalisieren. Auch das finde ich keine schlechte Entwicklung. Statt der großen Kaufhäuser und den vielen Kettengeschäften in den Innenstädten werden die Betreiber kleine Filialen in den Nachbarschaften schaffen. Als Konsument muss ich dann nicht mehr in die Innenstadt fahren, um das neue Sakko anzuprobieren. Ich kann das künftig in der Filiale ganz in meiner Nähe tun. Das dürfte auch den Innenstadtverkehr entlasten.

Das meiste wird aber in den Onlinehandel abwandern.

Schon als der Onlinehandel vor zehn Jahren massentauglich wurde, gab es Schwarzmaler, die meinten, das Ende des stationären Handels stehe unmittelbar bevor. Das ist so nicht passiert. Bei der Wahl eines neuen Sofas will ich Probe sitzen. Bestimmte Dinge wollen die Leute auch weiter anfassen können. Ich glaube daher nicht, dass Geschäfte komplett verschwinden werden. Die Konsumwelt wird flexibler. Hier in Großbritannien gibt es schon seit Jahren Versuche der Symbiose aus On- und Offlinekonsum. Amazon hat bereits vor acht Jahren in U-Bahn-Stationen Abholstationen eröffnet. Seitdem haben sich solche Hybridformate mehr und mehr etabliert. Die Leute bestellen sich einen Pullover online, können ihn dann in einem dieser Geschäfte anprobieren, bevor sie die Ware mitnehmen.

Vor dem Virusausbruch gab es einen Trend in die Innenstädte. Während der Pandemie wollten alle raus aus der Stadt. Wohin geht der Trend nach Corona?

Corona hat 2020 Überraschendes fertiggebracht – Pop-up-Radwege, Diskussionen über anfällige Lieferketten oder Artenschutz als Schutz unserer Gesundheit.

Die taz fragt Expert:innen, wie nachhaltig das Umdenken war. Bisher erschienen: am 5. 1. Wasilis von Rauch über den Radfahrboom, am 7. 1. Peter Daszak zum Corona-Ursprung, am 12. 1. Lisandra Flach über die Resilienz von Lieferketten und am 20. 1. Ortwin Renn zur Wahrnehmung und Bewertung von Risiken. Mit diesem fünften Teil endet die Serie.

Vieles wird davon abhängen, ob die jeweilige Stadt und Kommune die Pandemie als Chance zum Wandel begreift. Einige Städte sind bereits sehr innovativ. Paris etwa hat die Pandemie genutzt, den Verkehr weiter deutlich zu reduzieren und mehr stille Zonen im Zentrum zu schaffen. Mailand setzt auf Dezentralisierung und will das Kulturleben in den Vororten und Nachbarschaften stärken. Einige Stadtforscher meinen: völlig illusorisch. Als Historiker weise ich dann darauf hin, dass das Unterhaltungsgewerbe einst auch mobil und lokal ausgerichtet war. Kinos waren in den ersten Jahren keine großen Paläste, sondern ihre Betreiber zogen wie der Zirkus von Nachbarschaft zu Nachbarschaft und stellten auf Plätzen und selbst in Schwimmbädern ihre Leinwände auf.

Und wenn von den Kommunen wenig kommt?

Dann könnte es tatsächlich eine verstärkte Flucht in die Vororte geben und damit einhergehend eine Verödung der Städte. In der Pandemie haben die Kultureinrichtungen mit am meisten gelitten. Wenn sie nicht unterstützt werden und sie eingehen, werden viele Leute immer weniger Gründe haben, noch im Zentrum zu leben. Sie ziehen in die Vororte. Unterhaltung findet dann wiederum nur noch im Internet statt. Es droht eine kulturelle Verödung.

Der größte Einschnitt im zurückliegenden Jahr war für viele Deutsche der Verzicht auf Reisen. Wird die Pandemie auch das Reiseverhalten nachhaltig verändert haben?

Die Leute werden auch weiterhin reisen wollen. Welche Art von Reisen, das wird sich verändern. Ich denke, es wird einen massiven Rückgang von Kurzreisen geben. Kurz übers Wochenende nach Barcelona oder für eine Vernissage nach Venedig, das werden sich viele zweimal überlegen. Kurzreisen werden teurer und komplizierter.

Warum?

Vor der Pandemie war Airbnb sehr beliebt. Die Nachfrage dürfte rapide zurückgehen. Denn wer will jetzt noch in einer Wohnung übernachten, in der eine Nacht zuvor womöglich eine ganze Gruppe gefeiert und übernachtet hat? Die Pandemie hat das Hygienebewusstsein geschärft. Die Leute werden wieder Hotels bevorzugen oder auf etwas längere Reisen setzen. Aber das ist teurer. Ein weiterer Trend im Pandemiesommer war Camping: Die Nachfrage nach Wohnmobilen ist nach oben geschnellt. Jetzt besitzen viele einen dicken Caravan, und werden den auch weiter nutzen.

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