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Archiv-Artikel

Wird alles gar nicht gut

Zum Saisonstart der Bundesliga: Was die Borussia-Dortmund-Betroffenen erwarten

Sie hatten schon zahlreiche Borussia-Dortmund-Burnouts schadlos überstanden

Freund Thomas schwante schon länger, dass es bald „gar nicht mehr gut für uns“ sein wird. Thomas hatte letztens einen hochprozentigen, runden Geburtstag und muss seitdem „nichts mehr erklären“, wie er jedem, der darum nachsucht, höflich erklärt. Die altersweite Sicht auf die zentralen Themen des Daseins lässt ihn zwar nicht seniorenmild und gemütlich, dafür aber angenehm unaufgeregt durchs Leben streifen. Die aus allen Lautsprechern brüllaffenden Terror-Truppen vom Kommando Zeitgeist können dem Mann so gut wie nichts anhaben. Er steckt in der stabilsten aller Rüstungen und die wird immer noch aus einer Legierung von Klugheit und Humor geschmiedet. Es muss also schon „wirklich was Ernsthaftes“ vorliegen, wenn von außen etwas auf Thomas einwirkt, das in ihm ein dauerhaftes Rumoren verursacht. Eines, das ihn grübeln, hadern und „erklären“ lässt, es werde „gar nicht mehr gut“.

Ich diagnostizierte ein vorsaisonales, mentales Formtief. Der Zeitpunkt war äußerst ungewöhnlich. Thomas hat, genau wie ich, schon zahlreiche Borussia-Dortmund-Burnouts schadlos überstanden. Es ist uns beiden bisher immer noch gelungen, in den Sommerpausen das Wirklichkeits-Verdrängungspotential voll abzurufen. Als Langzeit-Borussiabetroffener geht das gar nicht anders. Nur nach einer vorbildlichen Eigenamnesierung, die die Erinnerung an die zurückliegende Saison komplett auslöscht, kann man der neuen unvoreingenommen optimistisch entgegensehen. Letztens, nach dem überragenden 2:1-Kantersieg des BVB gegen die Unaussprechlichen aus München im Spiel um den Telefon-Flatrate-Cup, wäre einem Thomas in Normalform deswegen „völlig klar“ gewesen, dass es, wie in all den Jahren zuvor, „selbstverständlich nur um den Titel“ gehen kann.

Stattdessen jetzt dieses gebetsmühlenhaft wiederholte „gar nicht mehr gut“, tonlos vorgetragen, gesenkten Blickes, so, als lese er den Text vom Boden seines Glases ab, dessen Inhalt laugig vor sich hinschalte.

Es bedurfte der Durchfeuchtungskraft dreier weiterer Pils, um Thomas so weit aus der inneren Versteppung zu spülen, dass er zu neuen Auskünften in der Lage war. Schon das DFB-Pokalfinale im Mai habe ihn „nichts Gutes“ ahnen lassen. Nicht die Niederlage gegen die Unaussprechlichen sei der Grund gewesen, sondern eine „äußerlich recht interessant erscheinende“ Mitzuschauerin, die aber leider nicht nur mit zuschauen, sondern sich auch mitteilen wollte. Zu oft, zu durchdringend, zu schmerzhaft habe sie ihm ins Ohr geflext. „Der Christian, der Christian …“ – gemeint war der damalige Abwehrspieler Wörns – „… der Christian ist so süß!“ Der Gedanke, dass an Christian Wörns etwas süß ist, war Thomas fremd wie ein noch nicht entdeckter Stamm brasilianischer Ureinwohner. In einer Mischstimmung aus Amüsiert- und Konsterniertheit habe er nachgefragt, was damit denn wohl gemeint sein könne. Wer aber fragt, bekommt Antworten. Diese habe gelautet: „Der hat so süße Strähnchen!“

Bald gehe es nur noch um so was, redete es nun schäumend aus Thomas heraus. Vorhin habe er zwei Zahnspangen-Teenies aus dem Sauerland gesehen, beide im Bayern-Trikot, die eine mit „Lahm“, die andere mit „Schweini“ hintendrauf. Kaum noch schön hässliche, o-beinige alte Männer seien am Stadion unterwegs gewesen. Stattdessen überall diese Pop-Star-Blagen mit Fettrolle und Poldi-Tattoo. Dortmund habe übrigens die meisten Dauerkarten-Nachfragen von „emotional unterversorgten Frauen“, die Plätze mit Sicht auf Kloppo haben wollten.

Überhaupt sei die ganze Linie vergeigt, diese sogenannte „moderne Entwicklung“ im Fußball. Bei Bayern hätten sie jetzt Wellness-Bereiche für die Spieler mit „Lounge-Charakter“, also mit Sofas, die schon im Eingang rumstehen und daneben Buddha-Figuren. Diese Buddha-Nummer sei jetzt sowieso in, wohl wegen dem Dalai Lama, dieser naturtrüben Tasse. Das alles habe doch keinen Sinn mehr, das sei nichts mehr für uns. Es werde gar nicht mehr gut.

Ich sagte: „Mensch, Thomas, reg dich doch nicht so auf. Du bist jetzt soundso viele Jahre alt, und du musst überhaupt nichts mehr erklären. Ansatzweise hat die Truppe doch heute ganz gut gespielt, oder?“ – „Ja sicher“, schoss es aus Thomas heraus, „nach allem, was ich heute gesehen habe, wäre alles andere als der Titel eine Riesen-Enttäuschung.“ FRITZ ECKENGA