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Wird Indiens Dürre zur politischen Katastrophe?

■ In diesen Wochen wird Indien von der schwersten Trockenheit der letzten Jahrzehnte heimgesucht / Dank gefüllter staatlicher Lager droht keine Hungersnot Die reichen Bauern machen gegen Gandhi mobil / Opposition entdeckt die Nutznießer der „Grünen Revolution“ als politischen Stoßtrupp und Stimmvieh

Von Uwe Hoering

„Es wird dieses Jahr viele unzufriedene Bauern geben“, prophezeit der hohe Beamte aus dem Landwirtschaftsministerium. Der Monsun, normalerweise fällig zwischen Juni und August, hat große Teile Süd– und Nordwestindiens glatt vergessen. Insbesondere Indiens „Kornkammer“, die Bundesstaaten Haryana, Punjab und die westlichen Teile Uttar Pradeshs sind hart betroffen. Ohne die Niederschläge des Monsuns reichen die Wasserreserven vorne und hinten nicht - trotz enormer staatlicher Investitionen in Staudämme, Bewässerungssysteme und Trinkwasserbrunnen. Und ohne Wasser in den Stauseen gibt es auch weniger Strom. So stehen Frauen und Kinder in den Städten stundenlang an, um einen Topf des kostbaren Naß zu ergattern, im Bundesstaat Maharashra wurden Bezugsscheine für Trinkwasser ausgegeben, Industriebetriebe schicken ihre Arbeiter in unbezahlte Zwangsferien, weil sie wegen Stromabschaltungen schließen müssen. Wohlhabende Städter und findige Wasserhändler bohren sich ihre Privatbrunnen, ohne Rücksicht auf den immer weiter absinkenden Grundwasserspiegel. Vor allem für die Landwirtschaft sieht es düster aus. Kleinstbauern, die in der Regel nicht über Möglichkeiten zur künstlichen Bewässerung verfügen, greifen in ihrer Verzweiflung auf den Aberglauben zurück: Gebete, Opfergaben und religiöse Prozession sollen die Wettergötter zum Einlenken bewegen. Andere sind pragmatischer und durchstechen kurzerhand die Kanaldämme, um ihre Saat zu retten. Angestellte der Elektrizitätswerke bekommen den Zorn über den fehlenden Strom für die Wasserpumpen am eigenen Leib zu spüren. Zwar droht noch keine akute Hungersnot, weil die staatlichen Getreidelager gut gefüllt sind. Gefahr droht aber der angeschlagenen Regierung Gandhis, der wegen der Trockenheit eine bereits fest gebuchte Europareise abgesagt hat, von seiten unzufriedener Bauern. Neue Bauernklasse Insbesondere jene Landwirte, die sich seit Anfang der sechziger Jahre auf die Modernisierung der Landwirtschaft, verherrlicht als „Grüne Revolution“, eingelassen haben, sind nicht länger bereit, Produktions– und Einkommenseinbußen lethargisch als Schicksal hinzunehmnen. Durch den Ausbau der künstlichen Bewässerung durch Motorpumpen und tiefere Brunnen sind sie zwar vom Monsun unabhängiger geworden, dafür haben sie jedoch eine neue Abhängigkeit von einer ausreichenden und regelmäßigen Wasser–, Strom– und Treibstoffversorgung eingetauscht. Konnten ihre Väter noch durch flexible Anbaumethoden und genügsame Pflanzen den Launen des Monsuns ein Schnippchen schlagen, sind ihre Hochertragssorten auf viel Wasser zur rechten Zeit angewiesen. Im Unterschied zu früheren Zeiten haben sie damit aber auch einen neuen Gottvater, an den sie sich wenden können: den Staat. Schließlich hat er sie nicht nur er muntert, ihre traditionellen Anbauprodukte und Methoden aufzugeben, sondern auch stets Hilfe in Form von Wasser, Strom und Treibstoff versprochen. Um sie in Zeiten der Krise auch wirklich zu bekommen, helfen allerdings keine Gebete, sondern nur politischer Druck. Zu der Erkenntnis, daß ihr Schicksal nicht von den Göttern, sondern den Politikern abhängt, kommt das wirtschaftliche Gewicht dieser neuen Schlüsselgruppe des indischen Nährstands. Sie liefert normalerweise die Überschüsse, die der Regierung dazu dienen, die Grundnahrungsmittelpreise für die städtischen Mittelschichten und Arbeiter niedrig und selbige damit politisch bei Laune zu halten. Außerdem produziert sie den Löwenanteil der agrarischen Rohstoffe für die Industrie: Baumwolle, Zucker, Jute, Öle. Für die innenpolitisch arg ange schlagene Regierung Rajiv Gandhis ist ihre Rolle als Ersatz für die Naturgötter keineswegs angenehm. Mit einer erhöhten Stromzuteilung für die Landwirtschaft und Notprogrammen versucht sie, den größ–ten Unmut zu dämpfen und die schlimmsten Produktionseinbrüche zu verhindern. Doch anders als der Monsunregen kostet die künstliche Bewässerung Geld - Strom, Wasserabgaben, Treibstoff, Kanalgebühren. Der nächste Kampf, die Forderung nach höheren Erzeugerpreisen und Stundung der Abgaben, ist damit bereits vorprogrammiert - für die Zeit nach der Ernte. Dauerkonflikt Indiens moderne Bauernklasse ist allerdings nicht erst seit dem Ausbleiben des Monsuns sauer. Bereits ohne Trockenheit und drohende Mißernte ist die Unzufriedenheit mit der Kongreß–Regierung groß, weil sie sich bei den staatlichen Entwicklungsausgaben gegenüber der Industrie und den Städten benachteiligt fühlt. Korruption und Schlamperei der Beamten von Elektrizitätswerken und Wasserbehörden, oft in Zusammenarbeit mit Kongreß–Politikern, verärgern zudem. Die verheerende Niederlage von Gandhis Partei bei den jüngsten Parlamentswahlen in Haryana war eine deutliche Warnung. Bereits mehrfach hat diese neue Bauern–Elite bewiesen, daß sie lernt, ihre Macht zur Verbesserung ihrer Produktionsbedingungen einzusetzen. Aufgebrachte Bauern weigerten sich, Stromrechnungen, Bewässerungsabgaben und Steuern zu zahlen, sie blockierten Fernstraßen und Eisenbahnlinien, boykottierten die Lieferung von Zuckerrohr an Zuckerfabriken und den Transport von Zwiebeln und Milch in die Städte. Mit Demonstrationen, Protestmärschen und der Belagerung von Politikern und Behörden unterstrichen sie ihre Forderung nach höheren Subventionen, Maßnahmen gegen Korruption und Schlamperei, eine bessere Versorgung mit Saatgut, Dünger und Strom. Längst hat die politische Opposition diese neue Bauernklasse als Stoßtrupp entdeckt, um der angeschlagenen Regierung Rajiv Gandhis den politischen Todesstoß zu versetzten. Alarmiert hat man im Kongreß–Hauptquartier registriert, wie Zigtausende von Bauern mit Slogans wie „Beendigung der Korruption“ dem geschaßten Finanz– und Verteidigungsminister V. P. Singh, der neuen Symbolfigur der Kritik an Rajiv Gandhis Regierung, huldigten. Angesichts dieser neuen, selbstbewußten und militanten Bauernbewegung ist eine Mißernte heute weitaus gefährlicher als in der Vergangenheit: Früher starben „nur“ Hunderttausende den Hungertod, heute droht die Regierung zu stürzen.

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